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Archiv-Artikel

„Noch leben wir“

Mit seinen Fotos hat Robert Lebeck Geschichten des 20. Jahrhunderts festgehalten. Jetzt ehrt ihn der Martin-Gropius-Bau mit einer Werkschau

1952 schenkte Ruth Lebeck ihrem Mann Robert eine Kamera zum 23. Geburtstag. Damals arbeitete er in Heidelberg noch als Aufseher für die Putzfrauen in den US-Kasernen der amerikanischen Zone. Mit seinem ersten Fotoapparat begann Lebecks steile Karriere als Fotoreporter FOTO: BIRGIT KLEBER

INTERVIEW RALF HANSELLE

taz: Herr Lebeck, erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Fotoapparat?

Robert Lebeck: Natürlich! Den hab ich zu meinem 23. Geburtstag bekommen.

Reichlich spät für einen Fotografen, der wenige Jahre später schon zu einem der gefragtesten Bildjournalisten der Nachkriegszeit werden sollte.

Ja. Und es war zudem auch ein ganz merkwürdiges Gerät. Eine Retina 1a. Meine damalige Frau hatte mir die geschenkt. Durch diese Kamera konnte man eigentlich gar nicht richtig durchschauen. Eigentlich hatte ich mir eine solche Kamera gar nicht gewünscht. Ich hab vorher als Aufseher für Putzfrauen im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte gearbeitet. Von Fotografie ist da nie die Rede gewesen. Manchmal erscheint mir das ganze Leben ohnehin wie ein Rätsel. Man profitiert vom Zufall. So war es wohl auch mit mir und der Kamera.

Haben Sie denn anfangs wirklich profitiert? Die Zeitschriftenlandschaft lag in den 50er-Jahren weitgehend danieder?

Als ich meine ersten Bilder in Regionalzeitungen veröffentlichte, da bekam ich pro Bild grade mal acht Mark. Erst als ich anfing, meine Fotos auch an Illustrierte zu schicken, wurde es besser. Wenn jetzt der Geldbriefträger kam, brachte er 75 Mark. Da wusste ich: Das ist es! Ich musste ja schließlich für meine kleine Familie sorgen. Ich hatte das Glück, dass mir meine Frau in den Anfangsjahren immer Mut gemacht hat. „Robert“, hat die gesagt, „eines Tages werden die dich noch für deine Bilder beknien.“

Und, hatte sie Recht?

Auf Knien ist sicherlich keiner gekommen. Aber ihre Worte haben mir damals Mut gemacht.

Sie sind Jahrgang 1929. Der Soziologe Helmut Schelsky hat einmal gesagt, mit einem solchen Geburtsjahr im Rücken sei man Angehöriger einer „skeptischen Generation“. War diese Skepsis mitverantwortlich für Ihren Wunsch, die politischen Ereignisse der Nachkriegszeit als kritischer Chronist zu begleiten?

Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht viel über meine Generation. Es ist eine sehr kleine Generation. Die meisten meiner Mitschüler sind noch in den letzten Kriegstagen ums Leben gekommen. Mir ist es daher später immer aufgefallen, wenn jemand das gleiche Geburtsjahr hatte wie ich. Diese Erfahrung hat mich sicherlich geprägt. Aber eigentlich wollte ich mit meiner Kamera nur Zeitgeschehen festhalten. Ich war zufrieden, wenn ein Bild auch Jahrzehnte später noch interessant war.

Wie genau macht man ein solch interessantes Bild?

Man muss bereit sein, Regeln zu brechen. Es wird immer wieder Leute geben, die sich einem Fotografen in den Weg stellen wollen: Bodyguards oder Sekretärinnen. Die muss man austricksen. Ein gutes Bild hat Priorität. Ich bin von Haus aus eher schüchtern. Aber für ein Foto hab ich gelernt, diese Schüchternheit zu überwinden. Dafür hab ich des Öfteren auch Tricks angewandt.

Was für Tricks?

Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Empfang für Winston Churchill in Aachen. Dort durfte nicht fotografiert werden. Churchill hatte kurz zuvor einen Schlaganfall erlitten, und man wollte nicht zeigen, wie der alte Mann zitterte. Es hätte ja gut sein können, dass der seinen Rotwein verschüttete. Ich musste also einen Weg finden, dieses Bilderverbot zu umgehen. Also habe ich mich als Kellner verkleidet und mich über die Küche reingestohlen. Ich hab in meinen Studienjahren in den USA einmal in der Gastronomie gearbeitet. So habe ich gewusst, wie das geht. Das hat auch gut geklappt. Irgendwann aber hat mich der Secret Service entdeckt. Die haben mir meine Filme abgenommen. Am Ende waren alle Aufnahmen futsch.

Damit war der Churchill also im Eimer.

Nein, nein, Ich brauchte ja irgendein gelungenes Foto von ihm. Das war die Vorgabe von Seiten der Redaktion gewesen. Also versuchte ich es am Tag darauf noch einmal. Ich fuhr nach Bonn, wo im Palais Schaumburg ein Empfang zu seinen Ehren gegeben wurde. Als die Fotografen abermals gebeten wurden, den Saal zu verlassen, habe ich mich unauffällig hinter einem Vorhang versteckt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich aus der Situation wieder rauskommen sollte. Aber ich wusste, ich brauchte ein gutes Churchill-Bild.

Sie hätten doch auch eines der üblichen Agenturfotos machen können. Warum haben Sie für Ihre Bilder immer wieder solch brisante Umwege genommen?

Ich arbeitete in einem anderen Gewerbe. Die Agenturfotografen hatten sogenannte Speed-Graphics. Mit denen konnten sie ihre Bilder sofort in die Agentur funken. Ich hingegen arbeitete für Illustrierte. Da kam es vor, dass die Fotos erst zwei Wochen später am Kiosk waren. Also musste ich interessantere und ungewöhnlichere Bilder liefern. Die Agenturfotografen hockten immer zusammen – drei Mann auf einem Haufen. So war garantiert, dass sie immer das gleiche Foto schossen. Egal ob AP, UP oder dpa: deren Fotos waren alle identisch. Mein Trick bestand darin, dass ich mich den Agenturfotografen direkt gegenüber positionierte. Ich stand immer auf der anderen Seite. Das war mir schon zur zweiten Haut geworden. So musste ich zwar oft gegen das Licht fotografieren, aber am Ende hatte ich ein interessanteres Bild.

Ihre Fotografien waren oft auch technisch brillanter. Woher nahmen Sie als Autodidakt Ihr ganzes fotografisches Wissen?

Vieles hat mir der Fotograf Herbert Tobias beigebracht. Ich konnte meine Kamera anfangs eigentlich nur dank der Gebrauchsanweisung bedienen. Die wesentlichen Dinge lernte ich durch Tobias. Der benutzte zum Beispiel eine Salatschüssel und machte darin ein derart heißes Bad zurecht, dass man gerade noch den Finger reinstecken konnte. Und dann hat er da den Film durchgezogen. Das steigerte seine Empfindlichkeit. Die anderen Fotografen haben später immer gedacht, ich könnte zaubern. Und immer, wenn ich ihnen den Trick verraten habe, haben sie nur den Kopf geschüttelt.

Mit all diesen Tricksereien im Gepäck sind Sie zu einem der bedeutendsten Fotoreporter der Nachkriegszeit geworden. Im Auftrag von Kristall oder Stern haben Sie die Welt bereist. Würden Sie heute sagen, dass Sie den Globus besser kennen gelernt haben als andere?

Ich lebte ja in einer Welt zwischen Taxi und Hotel. Vieles habe ich von der Welt erst nach Abwicklung meiner Aufträge kennen gelernt. Da hatten wir zum Glück oft Zeit. Niemand erwartete von uns, dass wir den nächsten Flieger direkt zurück nach Deutschland nahmen.

Sie und der Stern erlebten in den 60er- und 70er-Jahren zusammen Ihre goldenen Jahre. Das Magazin hatte eine Auflage von zwei Millionen Exemplaren und Sie waren der gefragteste Bildchronist der Bundesrepublik. Heute scheint der Stern nur noch ein konventionelles Blättchen zu sein. Blättern Sie zuweilen noch durch aktuelle Ausgaben?

Ja. Es ist schließlich ein Phänomen, dass es den Stern überhaupt noch gibt. Dem ergeht es da ganz ähnlich wie mir. Noch leben wir! Aber vielleicht nicht mehr lange. Im meinen Fall kann ich sagen, dass dann wohl mein Sohn Oskar das Regiment übernehmen wird. Der ist erst fünfzehn, aber schon jetzt ein unglaublich guter Fotojournalist.

Schade nur, dass dann die Zeit der großen Bildreportagen wohl endgültig vorbei sein wird.

Über das Ende der Reportage ist oft spekuliert worden. Ich glaube, wir erleben gerade eine Umkehrbewegung: Momentan stoße ich immer wieder auf interessante Fotoreportagen. Der Stern hat gerade einen neuen Art-Direktor bekommen. Ich glaube, auch von dem ist in dieser Hinsicht noch einiges zu erwarten.