: War es Mord aus Rache?
Ein Fluglotse in Zürich wurde erstochen, weil er am Absturz eines russischen Jets im Juli 2002 schuld sein soll. Der Tat dringend verdächtigt wird ein Mann, der bei dem Unglück seine Familie verlor
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Ein Verdächtiger, der am vergangenen Dienstag in Zürich den Fluglotsen Peter N. erstochen haben soll, ist festgenommen worden. Gestern teilte die Züricher Kantonspolizei mit, sie habe einen 48-jährigen Mann aus Russland verhaftet, der mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mörder in Frage komme. Er habe zwar noch nicht gestanden, Peter N. ermordet zu haben. Doch wiesen zahlreiche Indizien auf den Mann als Täter hin. Der Festgenommene, dessen Identität nicht genannt wurde, hatte bei dem Flugzeugzusammenstoß am 1. Juli 2002 in Überlingen am Bodensee seine Frau, Sohn und Tochter verloren.
Der Fluglotse Peter N. war am Dienstagabend auf dem Balkon seines Einfamilienhauses erstochen worden. Der gebrochen Deutsch, mit russischem Akzent, sprechende Täter war auf den Balkon geklettert und hatte nach einem kurzen Wortwechsel mit Peter N. mehrfach auf ihn eingestochen. Peter N. starb noch am Tatort vor den Augen seiner Frau und seiner drei Kinder.
Gleich nach der Tat waren Spekulationen laut geworden, es könnte sich dabei um einen Racheakt handeln. Peter N., 37, war in verantwortlicher Position als diensthabender Fluglotse am 2. Juli 2002 auf dem Züricher Flughafen eingesetzt, als eine russische Passagiermaschine mit einem DHL-Transportflugzeug über dem Bodensee zusammenstieß. Alle 71 Insassen starben, darunter auch 45 Kinder und Jugendliche aus Baschkirien, die an der spanischen Mittelmeerküste Ferien machen wollten.
Die Flugverkehrsleitung der Firma Skyguide war anschließend stark in Kritik geraten. Der Lotse hatte offenbar die drohende Kollision zu spät bemerkt und nur 44 Sekunden vor dem Zusammenprall die beiden Piloten gewarnt.
Peter N. saß zum Zeitpunkt des Unglücks allein vor dem Radarschirm zur Überwachung des süddeutschen und des Schweizer Luftraums. Ein zweiter Kollege machte eine Pause. Die Telefonanlage funktionierte zudem nicht richtig, so dass der Warnanruf eines Fluglotsen-Kollegen aus Karlsruhe nicht bei Skyguide ankam. Die private Flugüberwachungsfirma gehört größtenteils dem Schweizer Staat .
Auch die langwierigen Verhandlungen zwischen den Angehörigen der Opfer und der Schweizer Flugsicherung, die sich erst vor drei Monaten auf eine Teilentschädigungszahlung einigen konnten, hatte bei den Eltern der Jugendlichen Verbitterung ausgelöst.
Bisher ist nur einem Teil der Hinterbliebenen eine Entschädigung ausbezahlt worden, mit anderen Familienangehörigen wird dagegen noch über die Höhe verhandelt. Bislang wurden laut Medienberichten an zwölf Familien eine Summe von zwischen 100.000 und 300.000 US-Dollar pro getötetem Passagier ausbezahlt.
Peter N.s Name war nach dem Unglück nirgendwo öffentlich genannt worden. Obwohl er mit Adresse und allen Rufnummern leicht über das Telefonbuch als Mitarbeiter der Flugsicherung zu finden war, genoss Peter N. keinen besonderen Schutz. „Es gab keinerlei Hinweise auf eine Bedrohung“, sagte gestern ein Sprecher der Züricher Kantonspolizei. Erst seit dem Mordanschlag wird auch der Kollege von Peter N., der in besagter Nacht Dienst hatte, von der Polizei besonders geschützt.
Der aus Dänemark stammende Peter N. war seit sechseinhalb Jahren für Skyguide tätig. Nach dem Unglück setzte ihn die Firmenleitung nicht mehr am Radar, sondern in weniger verantwortungsvollen Bereichen ein.
Eine Nachbarin und die Ehefrau des Getöteten hatten die kurze verbale Auseinandersetzung auf dem Balkon mitbekommen. Sie glaubten, das Wort „Skyguide“ sei gefallen, außerdem, dass der Mann mit osteuropäischem Dialekt gesprochen habe.
Der nun Verhaftete hatte bei dem Unglück seine Frau, einen Sohn und eine Tochter verloren. Der 48-jährige Mann aus der russischen Republik Baschkirien war am 18. Februar legal mit einem Flugzeug in die Schweiz gereist, dem Vernehmen nach schon in der Absicht, den Fluglotsen Peter N. zu töten.
Der Polizei war er bereits während der Trauerfeierlichkeiten im Sommer 2003 bei Überlingen aufgefallen, bei denen er „außer sich vor Wut“ gewesen sei.
Er war zusammen mit anderen Familienangehörigen auf Einladung der Schweiz zur Gedenkfeier ein Jahr nach dem Unglück gekommen und hatte während der Veranstaltung immer wieder laut gebrüllt und eine Bestrafung der Verantwortlichen gefordert. Jetzt konnte ihn die Polizei am Mittwochabend in einem Gasthof in der Nähe des Flughafens Kloten festnehmen. Die Tatwaffe, ein 22 Zentimeter langes Klappmesser, war kurz zuvor in der Nähe des Tatorts gefunden worden.