: Eine fahrlässige Debatte
Außerparlamentarisch wird das Kopftuchverbot bereits umgesetzt. Die Vertreibung kopftuchtragender Musliminnen aus der Berufswelt ist längst in vollem Gange
Vor einigen Wochen, die Kopftuchdebatte machte bereits Schlagzeilen, bewarb sich eine junge, kopftuchtragende Berlinerin als Küchenhilfe bei McDonald’s. Sie wurde abgelehnt – mit der Begründung, kopftuchtragende Mitarbeiterinnen seien für viele Kunden eine Provokation. Ähnliches hören Frauen, die sich um prestigeträchtigere Arbeitsplätze als Ärztinnen oder Rechtsanwaltsgehilfinnen bewerben, täglich.
Ortswechsel: Eine kopftuchtragende Studentin steigt in einen Berliner Bus und muss anhören, wie ein Fahrgast bei ihrem Anblick laut von „Scheißterroristen“ spricht. Als sie ihn zur Rede stellt, gibt es keine Unterstützung für sie von anderen Mitfahrenden. Noch nie, so ist von Frauen mit Tüchern zu hören, war Ablehnung so deutlich zu spüren wie derzeit; nicht einmal nach dem 11. September. Damals gab es neben der offenen Distanzierung auch viele Versuche zur Kontaktaufnahme, um zu erfahren, wie Muslime auf das entsetzliche Ereignis reagieren.
Das ist heute ganz anders: Frauen mit Kopftüchern erleben fast überall Ausgrenzung und Missbilligung, und zwar unverhohlen und direkt, so als gäbe es dazu eine öffentliche Aufforderung. Viele sehen sich behandelt, als sei ein Kopftuchverbot, das sich derzeit in Baden-Württemberg, im Saarland, in Niedersachsen und in Hessen noch in der parlamentarischen Beratung befindet, außerparlamentarisch bereits umgesetzt. Betroffen sind auch Frauen mit Berufswünschen außerhalb pädagogischer Tätigkeiten. Das sind schon jetzt weitaus mehr Musliminnen, als es Bewerberinnen mit Kopftuch für ein Lehramt gibt.
Die Vertreibung kopftuchtragender Musliminnen aus der Berufswelt ist in vollem Gange. Spreche ich die Befürworter eines staatlichen Kopftuchverbots auf diese Folgen an, dann höre ich: „Das war nicht beabsichtigt. Es geht nur um ein Verbot für den öffentlichen Dienst.“ Dass es nun alle Kopftuchträgerinnen trifft, liegt aber in der Logik der vorgetragenen Gründe.
Im Mittelpunkt der Angriffe stand die Kopftuchträgerin. Sie wurde in geradezu klassischer Manier zum Feindbild aufgebaut. Kopftücher sind eine „militante Kampfansage an die Gesellschaft“, lautet die verbreitete politische Botschaft.
Im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes aus Baden-Württemberg heißt es: „Insbesondere ist ein äußeres Verhalten“ – gemeint ist das Kopftuch – „unzulässig, welches bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrkraft gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt.“
Mit diesen Charakterisierungen werden alle Merkmale einer Feindbildstilisierung erfüllt: die Brandmarkung, die moralische Disqualifizierung und die Diffamierung: Musliminnen, die Kopftücher tragen, sind dieser Gruppe zuzuordnen. Musliminnen ohne Kopftücher gehören nicht dazu. So hat das Eintreten für das Kopftuchverbot „die Bedrohung erzeugt, die es wehren will“, wie M. Siemons am 11. 11. 2003 in der FAZ schrieb.
Das mag nicht von allen beabsichtigt gewesen sein. Gehört nicht aber die Abschätzung von Risiken und Nebenwirkungen zum politischen Handwerkszeug? Warum sollte das Kopftuch, das von der Sprechstundenhilfe oder der Krankenhausärztin oder der Verkäuferin getragen wird, einen anderen Inhalt transportieren als das einer Lehrerin? Die dem Kopftuch zugeschriebene politische Symbolik bleibt im Auge vieler Betrachter gleich, egal wo sie den Frauen begegnen.
Die Verbotsdiskussion befindet sich in einer Falle. Selbst dort, wo das Tuch nicht verboten werden kann oder darf, behält es seinen anstößigen Charakter. Genau das bekommen mehr und mehr Frauen zu spüren.
Schon suchen sie nach Auswegen und diskutieren, welches Studium oder welche Ausbildung überhaupt noch begonnen werden sollte, wenn Anstellungschancen im begehrten pädagogischen Arbeitsfeld nicht mehr realistisch sind. Sie witzeln, dass noch gute Einstellungsaussichten bei Callcenters bestehen; schließlich gibt es noch keine Bildübertragung vom Telefonarbeitsplatz.
Wer sich ebenfalls auf gut qualifizierten Nachwuchs freuen kann, sind muslimische Organisationen: Schulen, Vereine und Eltern-Kindergärten. Bravo, kopftuchverbietende Knitzelsbacher: So tragt ihr dazu bei, dass die so genannte Parallelgesellschaft, vor der ihr permanent warnt, sich noch weiter abschotten kann. Musliminnen mit beruflichen Ambitionen außerhalb ihrer religiösen Milieus werden zurück zu Kindern, Küche und Moscheeverein verwiesen.
Lässt sich die allumfassende Diffamierung wieder beseitigen? Wohl kaum, denn wer sollte die Kehrtwende einläuten? Die politischen Verlautbarer verlören ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie erklärten, dass die Mohrrüben schabende Kopftuchträgerin beim Küchenjob keinesfalls die Unterdrückung ihres Geschlechts im Sinn habe und die Demokratie auch nicht beseitigen wolle, wie es ihre arrivierteren „Schwestern“ vorhaben, die unbedingt in den Schuldienst wollen.
Und die Musliminnen selbst? Könnten sie das leisten? Sie haben sich in der Debatte bisher kaum zu Wort gemeldet. Das hat viele Gründe: Sie sind nicht organisiert, haben eben keine Netzwerke geknüpft – obwohl dies oft vermutet wird. Die wenigen, die über eine gute Ausbildung verfügen, halten sich im Hintergrund. Zu oft haben sie die Erfahrung gemacht, dass ihre sparsamen öffentlichen Einlassungen verzerrt dargestellt oder gar ins Gegenteil verkehrt werden.
Verteidigen sie ihr Kopftuch als religiöses Kleidungsstück, wird ihnen vorgeworfen, dass sie sich im Koran gar nicht auskennen; schließlich sei dort eine Kopfbedeckung gar nicht erwähnt, sie gehöre also gar nicht zur Religionsausübung. Erklären Frauen, dass sie sich selbstbestimmt für das Kopftuch entschieden haben, werden sie wieder belehrt: Das sei Einbildung, sie seien nur ferngesteuerte Marionetten der Islamisten.
So bleibt nur die Hoffnung auf weitere Entscheidungen höherer Gerichte, die feststellen, dass Artikel 4 der Grundrechte unserer Verfassung, die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, auch für Frauen mit Kopftüchern gilt. Sie werden dieses Rechts nicht dadurch würdig, dass sie das Kopftuch ablegen. Sie besitzen das Grundrecht bereits; es ist keine Belohnung für gelungene Assimilation.
Mit der Kopftuchdiskussion ist mir klar geworden, wie sich viele in Deutschland die Integration wünschen: Integriert ist eine muslimische Frau erst dann, wenn sie nicht mehr so aussieht wie eine Muslimin und auch nicht dafür gehalten werden kann. Wer sich diese bornierte Wunschvorstellung auf „unterhaltsame“ Art vor Augen führen will, der sollte Lessings Einakter „Die Juden“ lesen, geschrieben 1754. Übrigens. Der Autor hat dieses Trauerspiel ein Lustspiel genannt. I was not amused reading it. BARBARA JOHN