: Happy End für einen Stock
Das liebenswerteste Stück Holz seit Pinocchio setzt Bilderbuch-Maßstab – Julia Donaldson und Axel Scheffler schicken „Stockmann“ auf Reisen
In der Wahrnehmung erwachsener Personen spielen Stöcke eine untergeordnete Rolle. Achtlos pflegt man sie am Wegrand liegen zu lassen, höchstens hebt man für den Hund mal einen auf, um ihn umgehend wieder von sich zu schleudern. In der Welt der Kinder ist das anders. In Kinderhänden können Stöcke zu großartigen Requisiten werden, zu Fahnenmasten, Waffen, Stiften und hundert anderen Dingen. Doch auch Kinder wissen nicht alles. Dass es nicht nur Stöcke, sondern auch einen Stockmann gibt, wird für viele neu sein. „Stockmann“ nämlich heißt der unbeugsame Held im neuesten Buch des Erfolgsduos Julia Donaldson (Text) und Axel Scheffler (Illustrationen). Manches Kind, das „Das Grüffelokind“ von denselben Urhebern nicht nur kennt, sondern auch genau angesehen hat, wird Stockmann vielleicht wiedererkennen. Anders als dort, wo einer, der ihm sehr ähnlich sah, dem Grüffelokind als Kuscheltier diente, darf er in seinem eigenen Buch nun sein eigenes, abenteuerliches Stockleben führen.
Stockmann wohnt in einem Baum, mit drei süßen Stockkindern und seiner lieben Stockfrau. So könnte es immer weitergehen, wenn er nicht eines Tages beim morgendlichen Joggen von einem Hund geschnappt und weggeschleppt würde. Damit beginnt eine lange Odyssee, die Stockmann immer weiter weg von zu Hause führt. Und obwohl er immer verzweifelter schreit: „Ich bin Stockmann! Stockmann!“, können weder Menschen noch Tiere ihn hören. Unwissentlich missbrauchen sie ihn, spielen mit ihm, bauen ihn in ihre Bauwerke ein und erklären ihn letzten Endes gar zum Feuerholz. Schon befindet sich der geschwächte Stockmann in prekärster Lage auf dem Gitterrost eines vorweihnachtlich geschmückten Kamins, da wacht er zum Glück noch einmal auf, kann sich sogar selbst als Retter in der Not bewähren und wird – endlich! – als der erkannt, der er ist: „Stockmann, mein Freund!“ Wer es ist, dem er hier begegnet, soll an dieser Stelle noch unausgesprochen bleiben. Verraten werden darf aber, dass das große Stockabenteuer im allerschönsten weihnachtlichen Happy End ausklingt.
Wer bisher nicht geglaubt hat, sich jemals im Leben mit einem Stock identifizieren zu können, wird hier eines Besseren belehrt. In der Tat eine wahrnehmungserweiternde Lektüre für alle Leser ab 2, sicher ein künftiger Klassiker und für Anhänger der guten Gedichtübersetzung ein Grund weniger, die Kinder schon im Krippenalter Englisch lernen zu lassen: Wiglaf Droste und Stefan Maelck haben Julia Donaldsons englische Verse nicht nur gewitzt übersetzt, sondern tatsächlich nachgedichtet (auch ein Versmaß wird eingehalten). Wer in den letzten Jahren sehr unterschiedlich gelungene Donaldson-Übertragungen hat vorlesen müssen, weiß das zu schätzen. Schöner war’s nur bei Mirjam Pressler. Wenn aber Frau Pressler keine Zeit mehr haben sollte, können das ruhig der Droste und der Maelck weiter machen.KATHARINA GRANZIN
Julia Donaldson, Axel Scheffler: „Stockmann“. Aus dem Englischen von Wiglaf Droste und Stefan Maelck. Beltz & Gelberg, Weinheim 2008, 32 Seiten, 12,90 Euro