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Archiv-Artikel

Furcht und Staunen

Die Welt mit den Augen eines Pferdes sehen, groß sein unter der Bettdecke, die Farbe Gelb wie Senf schmecken – neue Kinderbücher vermögen Großartiges

VON ANGELIKA OHLAND

Gibt es in der Zeitung eine Kinderbuchseite, werden dort natürlich auch Bilderbücher vorgestellt. So wie hier jetzt. Das ist schön und gut. Trotzdem hätte ich da eine Idee. Gute Bilderbücher sind ja vor allem Kunstbücher und vielleicht sollte man sie deshalb einfach mal auf den Kunstseiten vorstellen. Wäre doch interessant zu schauen, wie und ob das den Blick verändern würde. Es ist nämlich wirklich großartig, was begabte Illustratoren, viele von ihnen siebziger Jahrgänge, so an Kunstbüchern, die im Kinderbuchprogramm der Verlage auftauchen, in Umlauf bringen. Vieles hat eher Sammler- als Gebrauchswert.

Zum Beispiel Manuela Olten mit ihren verschobenen Perspektiven und ihren Mondgesichtern, in denen Münder wie Mondkrater klaffen. Wie kriegt man in so einen seltsamen Gesichtsfleck Augen, die sich fürchten oder nachdenken oder staunen? Olten jedenfalls kann das und braucht kaum Worte für ihre Geschichte über einen kleinen Jungen, der sich ein größeres Bett wünscht (so ein Gitterbett ist doch Babykram), es auch bekommt und dann einen Schreck kriegt, wie klein er sich in dem Riesenbett plötzlich wieder fühlt. Da ist so viel Ambivalenz drin, so viel Spannung zwischen Groß-sein-Wollen und Unter-die-Decke-kriechen-Wollen, dass der Betrachter in seinen Gefühlen ganz mitgerissen wird.

Solche Gefühlszwischenräume erzeugt auch Tobias Krejtschi, Jahrgang 1980, mit „John Maynard“, Fontanes berühmter Ballade vom Steuermann, der bis in den Tod an seiner Steuerungsaufgabe festhält: „Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt. / Gerettet alle. Nur einer fehlt!“ Da sieht man den Zwiespalt des Steuermanns, der sein Leben für das seiner Passagiere gibt, sich als innere Spannung in den Gesichtern und Körperhaltungen der Geretteten widerspiegeln. Einen anderen Klassiker, Hans Falladas „Mäusecken Wackelohr“, hat sich Willi Glasauer vorgenommen, der die aufgewühlten Seelenzustände seiner Protagonisten – Maus, Katze, Ameise – mit merkwürdig widersprüchlicher Ruhe aufs Papier bringt. Glasauer, im Gegensatz zu seinen hier genannten Kollegen bereits ein älterer Herr, erzeugt innere Anspannung, wie sie durch die Lust am Bösen und die Lust an der Freiheit entsteht, schon allein durch seinen kratzigen Federstrich. Wenn man die Preise für Kunstbücher zugrunde legt, wird man über die 48 Euro für diese „Vorzugsausgabe“ nicht maulen. Ein ungewöhnliches Mäusebuch ist übrigens auch „Mein Buch vom Angsthaben“. Die Engländerin Emily Gravett arbeitet mit fettem Kohlestift, angefressenen Papierseiten und collagiert, was immer Furcht erzeugen kann – also so ziemlich alles.

Es ist schon erstaunlich, was ein guter Zeichner aus völlig simplen Themen rausholen kann. „Wenn ich eine Katze wäre …“ heißt das Buch, das der Italiener Matteo Gubellini gestaltet hat: Die Perspektive wechseln, das gelingt ja im wirklichen Leben eher selten so richtig, aber Gubellini lässt seine Betrachter die Welt tatsächlich durch die Augen eines Pferdes, eines Wales oder eines Eichhörnchens wahrnehmen. So ein Blick durch neue Augen verwandelt den ganzen Betrachter, wenn auch nur für einen Moment.

„Das schwarze Buch der Farben“ tut das auf besonders überraschende Weise, denn die Bilder dort kann man nicht sehen, sondern nur als Relief fühlen. Ein einziger Satz dazu – „Für Thomas schmeckt die Farbe Gelb nach Senf“ – und die inneren Farben fangen an zu leuchten.

Manuela Olten: „Schnell ins Bett“. Carlsen Verlag, Hamburg 2008, 14,90 Euro Theodor Fontane, Tobias Krejtschi: „John Maynard“. Kindermann Verlag, Berlin 2008, 14,50 Euro Hans Fallada, Willi Glasauer: „Mäusecken Wackelohr“. Aufbau Verlag, Berlin 2008, 48 Euro Emily Gravett: „Mein Buch vom Angsthaben“. Sauerländer, Düsseldorf 2008, 19,90 Euro Edoardo Bardella Rapino, Matteo Gubellini: „Wenn ich eine Katze wäre …“. Bohem Press, Zürich 2008, 12,90 Euro Menena Cottin, Rosana Faría: „Das schwarze Buch der Farben“. Fischer Schatzinsel, Frankfurt am Main 2008, 16,90 Euro