: „Warum soll der nicht hier sein?“
Trotz der Grabenkämpfe um Tarifverträge erlebt PDS-Chef Liebich einen ruhigen Vormittag bei der Gewerkschaftsdemo. Seine Partei hatte erstmals auf eine Kundgebung verzichtet und empfohlen, beim DGB mitzulaufen – mit wenig Erfolg
Man hätte sich anderes vorstellen können. Erboste Beschäftigte etwa, die zumindest Luft ablassen, wenn sie den Chef des kleineren Koalitionspartners neben sich bei der Mai-Demonstration sehen. Doch Stefan Liebich, PDS-Landes- und Fraktionsvorsitzender, bleibt unbehelligt an diesem Vormittag. Nur zwei Genossen von der Basis nehmen ihn kurz in Beschlag, ansonsten bleibt Liebich viel Zeit, um mit dem PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow über die jüngste Führungskrise der Partei zu reden.
Zum ersten Mal hat die Berliner PDS auf eine eigene Veranstaltung zum 1. Mai verzichtet. „Es gab schon seit Jahren eine Debatte darüber, ob eine Kundgebung parallel zu der der Gewerkschaften wirklich gut ist oder nicht doch spaltet“, sagt Liebich. In Spitzenzeiten waren bis zu 5.000, voriges Jahr noch über 1.000 Genossen zusammengekommen, wenn die Partei zur Kundgebung rief, meist am Alexanderplatz. Dieses Jahr sollten sich die Genossen – landesweit trotz rasanten Schwundes immer noch über 10.000 – der DGB-Demonstration anschließen, empfahl der Landesvorstand.
Doch klein ist die Runde, die sich zum Demostart um Liebich am Brandenburger Tor versammelt. Kaum zehn Leute stehen zusammen, darunter Sozialsenatorin Heidi Knaake-Werner. Drei PDS-Fahnen wehen, fünf weitere lehnen zusammengerollt an einer Häuserwand. Liebich versichert, da seien noch andere Genossen in der Menge. Doch weitere PDS-Fahnen sind nicht zu sehen.
An Liebichs hellbraunem Cord-Jacket steckt das rote Emblem der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Natürlich echt, „meinen Sie ich mache hier Etikettenschwindel?“. 1996 ist er der später in Ver.di aufgegangenen Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen beigetreten.
2002, bei seiner ersten Mai-Demo als Parteichef und Koalitionspartner, will Liebich noch Bedenken gehabt haben, was da kommen könne. Denn schnell nach Amtsantritt von Rot-Rot war das Klima zwischen Senat und Gewerkschaften belastet. Doch außer ein paar Funktionären habe ihn keiner angesprochen. „Der Streit bringt mich nicht dazu, hier wegzubleiben.“
Es ist nicht so, dass keiner Liebich erkennt. „Warum sollte der nicht hier sein?“, meint Vertrauensmann Uwe Borgenhagen aus der Senatsverwaltung, der ein paar Meter entfernt geht. „Er ist ja noch einer von denen, die versuchen, es anders ablaufen zu lassen.“ Die PDS sei eben der kleinere Teil der Koalition.
Laut vorgetragene Parolen sind hörbar nicht Liebichs Sache. Als ein PDS-Mann „Hoch die internationale Solidarität“ skandiert, verebben seine Worte schnell. Weder der Parteichef noch andere fallen ein. Auch als einer am Straßenrand später über Megafon die Internationale abspielt, singt keiner mit.
Als die Demo nach eineinhalb Stunden das Rote Rathaus erreicht, stoppt das Grüppchen des PDS-Chefs. Jetzt zur Abschlusskundgebung? Nein, ins Café, Pause machen. Zu viele Termine noch, sagt Liebich entschuldigend: Um eins zum Kehraus nach der NPD-Demo in Charlottenburg, später nach Kreuzberg. Ein anderer braucht keine Pause: Grünen-Abgeordneter Wolfgang Wieland, der demonstriert, bei der Kundgebung vor der Bühne steht und auch in Charlottenburg mit auskehrt.
STEFAN ALBERTI