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Archiv-Artikel

Brigittes Rechnung

Die frühere CDU-Schatzmeisterin Baumeister hat sich den Frust von der Seele geschrieben

VON NADJA KLINGER

„Welchen Preis hat die Macht?“, fragt der Titel des Buchs, in dem die frühere CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister ihre Geschichte erzählt. Die Antwort steht schon auf den ersten Seiten fest: einen großen. Macht kostet Emotionen. Kostet mehr Macht mehr Emotionen? Die Geschichte ist keine traurige, sondern eine viel traurigere.

Eine Geschichte voll bitterer Erinnerung. Sie bat um einen Platz in der ersten Reihe. Man gab ihn ihr. Sie setzte sich. Sie hatte mehr Luft als andere Passagiere, sie konnte die Beine bewegen. Sie hatte drei, vier Zeitungen. Sie würde sie alle lesen, während das Flugzeug nach Stuttgart flog. Ihr Leben war ein Geflecht von Orten. Es war eine Anhäufung von Momenten, in denen sie irgendwie wichtig war. Sie reiste mit viel Papier in der Tasche. Sie duzte Leute, die auch viel Papier mit sich herumtrugen. Sie hatte ein Privatleben, aber sie hätte nicht sagen können, wo genau das begann. Sie fühlte sich frei. Später würde sie merken, dass sie nur Beinfreiheit im Flugzeug hatte. Sie dachte, ihr Leben wäre ausgefüllt. Später würde sie feststellen: „Manchmal war es nur angefüllt von Terminen.“

Sie setzte sich auf Platz A, zupfte an ihren Sachen und schnallte sich an. Plötzlich saß auf Platz C ein Mann. Sie erkannte ihn sofort. Den festgefrorenen Stolz in seinem Gesicht. Die Kontrolle, unter der er sich bewegte. Sie kannte den Mann sehr gut. Sie konnte seine Stimme hören, wenn er schwieg. Unzählige Male hatte sie sein Pfeifentäschchen gepackt und auf seinen Teller gelegt, was er gern aß. „Guten Tag“, sagte sie jetzt. Der Mann schwieg eisig. Auf dem Platz zwischen ihm und ihr lagen die Zeitungen. Oh, die haben mir meine Leute hingelegt, sprach der Mann still zu sich selbst. „Nein, Wolfgang, das sind meine Zeitungen“, sagte sie in verräterisch bebendem Ton, „aber ich leihe dir gern eine.“ Sofort warf der Mann das Blatt wieder weg. Bis Stuttgart schwieg auch sie. Sie hieß Brigitte. So hatte er sie angesprochen. Bis die Geldangelegenheit hochkam. Bis sie sich nicht mehr einigen konnten, wie das mit den 100.000 Mark abgelaufen war. Sie musste jetzt aufstehen. Sie musste gehen. Sie hörte sich selbst dabei zu, wie sie sich freundlich verabschiedete. Er sah nicht hoch, als sie über seine Beine kletterte. So fängt man eine große Geschichte an: mit dem tragischen Ende. Es ist klar, dass sie nicht gut ausgeht, diese Geschichte, aber man erzählt sie trotzdem. Szene für Szene, weil man hofft, am Ende könnte sich alles zum Guten wenden.

„Du wirst immer den Kürzeren ziehen“, hat Wolfgang in einer Szene zu Brigitte gesagt. „Ich bin der Stärkere.“ Sie erinnert sich, in diesem Moment ein Stück von der Wahrheit gesehen zu haben: jemanden, der seine Macht nicht hergeben wollte. Dessen Hoffnungen mit dem Gedanken verzurrt waren, einmal Bundeskanzler zu sein. Ihr wurde klar, dass Wolfgang Schäuble, der stets den ganzen Tag über sie verfügt und spät abends im Fonds seines Wagens ihre Hand genommen hatte, sie fallen lassen würde. Nicht die Hand, sondern Brigitte Baumeister.

Es gibt keinen Moment, der sich so anfühlt, als ob am Ende alles gut sein könnte. Wolfgang hat Brigitte gebeten zu bleiben, wenn sie gehen wollte. Sie war die Einzige, die zusehen durfte, wenn man ihn ins Auto trug. Von ihr ließ er sich im Rollstuhl schieben. Mitunter strich er ihr übers Haar, wenn sie gut gearbeitet hatte. Sie ist durch den Bundestag gerannt, als er von der Rampe am Rednerpult zu stürzen drohte. Die Vorstellung, er könnte unten liegen und die Fotografen in diesem Moment auslösen, hat sie verfolgt. Sie sagt, sie habe ihn „auch als Mensch“ gemocht. Sie hat etwas missverstanden. Sie glaubte, ein anderes Leben führen zu können als ihr eigentliches. Für sie gab es Politiker und Menschen. Brigitte Baumeister hat geglaubt, Politik sei etwas, wofür man mit Leidenschaft sein Leben hingeben kann. Sie erzählt, wie sie in den Bundestag kam, parlamentarische Geschäftsführerin wurde und Schatzmeisterin ihrer Partei. Sie hat sich mehr an der Seite großer Politiker als bei ihrer Familie aufgehalten. Sie wollte ihrem Schicksal entfliehen. Nicht Ehefrau sein, zu Hause warten. Sie wollte selbst etwas losmachen. Am Ende holt sie das Schicksal mühelos wieder ein. Von einer ganz großen Sache bleibt am Ende nicht einmal eine Freundschaft. Ihre Aussage steht gegen die Schäubles. Sie sagt, sie habe sich ihm „politisch verweigert“. Wie tragisch! In solcherart Beziehungen stirbt man nicht vor Liebe, sondern an der Realität.