: Kehraus für die Rechten
Nach der NPD-Demonstration fegen die Bürger den rechten Unrat aus den Straßen. Sie folgen einem „Aufruf zur bürgerlichen Besendemonstration“
aus Berlin BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Der Widerstand ist leise. Kaum hörbar. Keine Trillerpfeifen, keine Buhrufe. Nur das Kratzen von Besenborsten ist auf der Straße zu hören. Es sind große neue Besen aus Plastik, kleine Schrubber, die schon Jahre auf dem Buckel haben, Handfeger und solche, die aussehen wie Hexenbesen. Ein junger Mann hat ein Drucksprühgerät mitgebracht.
Am 1. Mai ist im gutbürgerlichen Stadtteil Charlottenburg-Wilmersdorf Saubermachen angesagt. Doch es geht nicht um Bierbüchsen oder Straßenschmutz. Es geht um besonderen, um braunen Dreck. Deshalb soll er auf eine besondere Art entsorgt werden: per Hand. Mit dem Besen.
Angeführt wird der etwa 150 Personen zählende Putztrupp von der Bürgermeisterin, der Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung, von Stadträten und Fraktionsvorsitzenden aller Parteien. Die Stille wird nur unterbrochen von kleinen Sprechchören „Weg, weg, weg mit dem Nazidreck“ oder „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest“. Doch viel sauber zu machen gibt es nicht. Die Neonazis, die am Mittag mit etwa eintausend NPDlern durch einen Teil des Stadtteils zum Olympiastadion gezogen sind, mit Parolen wie „Bürger lasst das Glotzen sein, auf die Straße, reiht euch ein“ und „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“, haben sich wie anständige Deutsche verhalten und kaum etwas hinterlassen. So schieben die Besen nur einige wenige Pappteller mit Senfresten von den Bockwürsten für die Kameraden vor sich her. Trotzdem: Die Aktion ist ein Erfolg. Die Symbolik zählt
Was hat es nicht schon alles gegeben an Widerstand gegen Rechts: Bunt gegen Braun, Demonstrationen, Krawalle, Lichterketten. Doch Besen im Kampf gegen Neonazis sind außergewöhnlich.
Es gab viele Skeptiker
Wer genau die Idee mit den Besen hatte, ist schwer zu sagen. Sie entstand in einem Gespräch zwischen der Polizei, der Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung und der Bürgermeisterin, im Vorfeld des rechten Aufmarsches. Irgendwann fiel das Wort und wenige Tage später stand er, der „Aufruf zur bürgerlichen Besendemonstration“.
Viele Rollos sind heruntergelassen. Nur wenige Anwohner lassen sich blicken. Doch nicht alle wollen die Rechten ignorieren, links liegen lassen. Einige haben Transparente wie „Dummheit lässt sich nicht verbieten“ oder „NPD tut weh“ aufgehangen. Andere stehen mit Transparenten wie „Nie wieder Faschismus“ am Straßenrand. Kleinere Antifagruppen durchbrechen hin und wieder die weiträumigen Polizeiabsperrungen und schreien den Rechten ihren Hass entgegen: „Nazis raus! Nazis raus!“, „Haut ab! Haut ab!“
Marianne Suhr (SPD) ist Vorsteherin der 55-köpfigen Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Charlottenburg-Wilmersdorf, wo die Sozialdemokraten mit 20 Mitgliedern zwei Nasenlängen Vorsprung haben vor der CDU. „Ich würde mich auch am liebsten gegen die NPD stellen und die Faust ballen“, sagt die 63-jährige Suhr, die bedeutend jünger wirkt, und klopft energisch mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. „Aber wir haben keine Chance, wenn wir uns auf die Straße stellen und die Polizei uns schützen muss.“ Klar könne man auch mit Steinen gegen die Rechten vorgehen. Doch das verbietet sie sich selbst. „Mit Gewalt ist nichts zu regeln.“ Deshalb eben die Symbolik mit den Besen.
Glatzen und Springerstiefel passen nicht in die Idylle der Villenkolonien im Westend, wo die NPD gestern zu ihrer zentralen Maikundgebung unter dem Motto „Wir sind das Volk!“ aufrief. Der vor zwei Jahren fusionierte Doppelbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein bürgerlicher Stadtteil.
Zufall ist es nicht, dass sich die Rechten ausgerechnet diesen Teil der Stadt für ihre Maikundgebung ausgesucht haben und nicht wie in den Vorjahren in östlichen Außenbezirken marschieren. Da ist zum einen die Nähe zum Olympiastadion mit dem Maifeld, das im Nationalsozialismus als Aufmarsch- und Appellplatz genutzt wurde. Da jährt sich zum andern das von den Nazis am 2. Mai 1933 verhängte Verbot über die deutschen Gewerkschaften zum 70. Mal, und zu guter Letzt fühlen sie sich nach dem gescheiterte NPD-Verbotsverfahren im Aufwind.
Marianne Suhr brauchte einige Tage, bis sie voll und ganz hinte der Besenaktion stand. Ihr war klar, dass sie Belustigung und einiges Kopfschütteln hervorrufen würde.
Bezirk der Bildungsbürger
Einige Männer in der Bezirksverordnetenversammlung spotteten von wegen Besen und Hexen. Nachbarn boten zusammen mit einem Schulterklopfen Besen an. So nach dem Motto „Mach mal, finden wir gut, aber ich nehme doch keinen Besen in die Hand.“ Die Bezirksvorsteherin kennt die Klientel in ihrem Bezirk. Lehrer, pensionierte Studienräte, Architekten. Bildungsbürgertum eben. „Ich gehöre ja selbst dazu“, sagt die Soziologin und lacht. Sie weiß, dass es einfacher ist, ein Spruchband zu tragen, als einen Besen zu schwingen. Deshalb hat sie „ein gewisses Verständnis“ für die Skeptiker. Doch je länger sie über die Symbolik nachdachte, umso größer wurde ihre Überzeugung. Als auch die Berliner Initiative „Europa ohne Rassismus“ und die Publizistin Lea Rosh die Aktion unterstützten und selbst ihr Mann sich einen Besen schnappte, waren die letzten Zweifel verflogen. „Ein Besen kann eine Waffe sein.“
Sie agiert im Stillen und macht auch kein Aufheben über ihre Biografie. Kaum jemand in der Bezirksverordnetenversammlung weiß, dass sie mit 18 Jahren, vier Jahre vor dem Mauerbau, aus dem Havelland im Brandenburgischen erst nach Wolfenbüttel und dann nach Berlin ging, mit Anfang zwanzig drei Kindern bekam, mit einem Sohn des ehemaligen Berliner SPD-Bürgermeisters Otto Suhr verheiratet war, viele Jahre als Schulsekretärin, Tutorin, Putzfrau und Familienhelferin arbeitete, um nach der Scheidung die Kinder allein großzuziehen. Dass sie mit 39 Abitur machte, ein Jahr später begann, Soziologie und Philosophie und Psychologie zu studieren, und mit 50 promovierte. Auch dass sie schreibt, Tagebücher, Interviews, Reportagen und kürzlich einen autobiografisch geprägten Roman, weiß kaum jemand.
Symbolischer Besitz
Mit 60 Jahren kündigte Marianne Suhr nach zehn Jahren ihren Job in der Bauverwaltung, wo sie sich mit Architektursoziologie und Stadtbelebung beschäftigt hat. Der Grund: „Ich wollte was anderes machen.“ Vor anderthalb Jahren wurde sie, nachdem sie zuvor im SPD-Fraktionsvorstand in Charlottenburg war, zur Vorsteherin der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf gewählt. Das war alles nicht unbedingt so geplant. Aber reiner Zufall auch nicht.
Man könnte sagen, dass dieser ehrenamtliche Job, die ständige Suche nach Kompromissen, sie unterfordert. Schließlich macht die Bezirksverordnetenversammlung nichts anderes, als die Arbeit des Bezirkes zu kontrollieren und Tagesordnungspunkte wie Darstellung des Bezirks im Heimatmuseum, Bootsstege, Sachstand Mobilfunkantennen oder einheitliches Werbe-Logo für Jugend- bzw. Sozialarbeit abzuarbeiten. Vielleicht hat deshalb die Besendemonstration eine so große Bedeutung für die Soziologin und Stadtplanerin. Denn an diesem 1. Mai hat sie die Stadt in Besitz genommen. Wenn auch nur mit einem Besen. Wenn auch nur symbolisch.