piwik no script img

Archiv-Artikel

Die fremde Welt im Zielfernrohr

Matthew Eck war Soldat und hat seinen Debütroman über den asymmetrischen Krieg geschrieben: „Das entfernte Ufer“

VON ANDREA HÜNNIGER

Es ist Nacht. Eine Stadt bebt in schwüler Hitze unter einem schwarzen Himmel. Von weitem sieht alles klein aus, auch die Explosionen, die jäh die Gassen aufleuchten und die Häuser glimmen lassen. Dann ist die Stadt wieder in Dunkel gehüllt. Sechs Soldaten liegen auf dem Dach eines Hauses und beobachten, schwitzen, knirschen Sand zwischen den Zähnen. Es ist Krieg. Der Ort wird nicht genannt, aber man erkennt ihn: Somalia. Schauplatz eines asymmetrischen Krieges. Wie Afghanistan. Wie Irak. Gut bewaffnete Soldaten auf Beobachtungsmission. Sie hören ein Geräusch, hören zwei Fremde, die die Flucht ergreifen. Bombenleger? Terroristen? Schwarz ist die Nacht und schwarz sind die Schatten, die groß und gefährlich durch die Barracke fliegen. Einer schießt, ein anderer auch. Die zwei Toten sind Kinder mit langen, flatternden Schatten, die sich verirrt oder gespielt oder nur ihrer Neugier nachgegeben hatten.

Auf den ersten Seiten des Debütromans von Matthew Eck erfährt der Leser gleich mal, was Krieg ist: tote Kinder, tote Zivilisten, tote Soldaten auch. Und alles ein Zufall. Es ist eine Schlüsselszene, die sagt: Alles, was auf diesen Seiten passiert, folgt der Moral des Krieges – wer schneller zielt, lebt länger.

Matthew Eck weiß das, er ist jetzt 34 Jahre alt und war 1993 als amerikanischer Soldat in Somalia stationiert, hat durch sein Zielfernrohr die neue fremde Welt beobachtet, und was er gesehen hat, gefiel ihm nicht. „Es ist eine Geschichte, in der die Unschuldigen schuldig werden. Sie wollten nicht, dass das passiert, aber es passiert. Krieg ist eben so, und das Leben ist genau so. Du musst auch Entscheidungen treffen, nur sind sie nicht so drastisch.“ So redet Eck und so schreibt er es literarisch auf. Er bringt seine Figuren in Situationen, in denen niemand weiß, wie er reagieren würde, in denen die Ereignisse überwältigen, wo Moral nicht mehr zählt, wo Lastwagen mit riesigen Raketen obendrauf den Sand in den Straßen aufschrecken und Hubschrauber abschießen, wo Zivilisten durch versehentlich abgefeuerte Kugeln für den Preis eines geklauten Autos sterben, wo der Monsun, der die Welt sauber waschen soll, die Welt nur verwischt, wo es nach verfaulten Fisch stinkt, wo niemand allein zurechtkommt: All das gepresst und gebündelt auf 185 Seiten. Es ist ein dringendes, eiliges, in einem lakonischen und ungekünstelten Ton geschriebenes Buch.

Der Autor sitzt vor seinem Cappuccino in Berlin-Kreuzberg. Er sieht aus wie ein Abiturient, dickes Tweed über einen schmächtigen Körper, Strähnen fallen über die Ohren, eine dicke Rahmenbrille besetzt sein von feinen Zügen geformtes Gesicht. Das Autorenbild im Buch weicht fast gänzlich von der Realität ab, nur die Augen mögen stimmen, wenn man lange hinschaut. Er ist auf Lesereise, aber Berlin besucht er nicht, um hier zu lesen, sondern weil er Berlin nicht kennt, weil er die Welt entdecken will, weil er über sie schreibt, weil er gern redet. Das war auch der Grund für ihn, mit 19 Jahren in die Army zu gehen. „Ich wollte Erfahrungen sammeln. Ich hätte nicht gedacht, dass ich wirklich in den Krieg muss. Ich wollte das auch nie wirklich. In Amerika gibt es für vier Jahre Army 50.000 Dollar. Damit wollte ich mir das College finanzieren. Und ich wollte als Schriftsteller über etwas schreiben. Und die Idee gefiel mir, mein erstes Buch über den Krieg zu schreiben.“

Es klingt wie der Anfang einer Geschichte, die für ihn gut ausging, weil sie ihn schließlich zum Schriftsteller werden ließ: „Ich fühle mich schon etwas schuldig, aber die Gründe, weswegen wir dort waren, waren richtig. Wir wollten helfen, die Nation zu stabilisieren. Es muss etwas falsch gelaufen sein, weil die UN und die USA im Anschluss bei Friedensbestrebungen in Afrika eher pessimistisch waren.“

Und glauben Sie noch an den Frieden? Matthew Eck sagt: „Krieg ist dazu da, für den Frieden zu kämpfen. Aber Frieden hat für jeden eine andere Bedeutung, nicht jeder will McDonald’s oder Britney Spears in seinem Wohnzimmer haben. But, yeah, I love freedom.“ Ein Lächeln zuckt in den Mundwinkeln. Ein amerikanischer Blick. Er sagt auch, dass er an das Gute im Menschen glaube, dass die Army gute Prinzipien habe, dass die meisten Leute in der Army seien, weil sie ihr College finanzieren oder die Welt sehen wollen. Allerdings: Seit Bush sei es als Soldat der US Army im eigenen Land schwerer geworden, ein Date zu bekommen. Das Image habe sich verändert, die Jungs, die aus dem Irak kämen, seien anders als die Veteranen zuvor. Die Soldaten erhielten nach dem Einsatz Fragebögen, in denen alle lügen. „Sie fragen dich: Wie viel trinkst du? Schläfst du? Kommst du klar mit dem, was du gesehen hast? Die Jungs erzählen dann, wie gut es ihnen geht. Danach, in den Zimmern, kommen sie zu dir und wollen reden.“

Wütend ist Eck nicht, auf niemanden, er war es auch nicht, als er aus dem Krieg kam und eine Menge trinken konnte. Es ist, als sei für den Schriftsteller, der er nun ist, die Welt mit dem Buch wieder gerade gerückt worden. Aber dies Geraderücken hat Spuren im Buch hinterlassen. Die Hilflosigkeit spricht eher aus den Zeilen im Buch selbst, dort wo es keinen Ort, keine Zeit, kein schnelles Urteil gibt, keine Helden – weder unter amerikanischer Flagge noch hinter den Kalaschnikow. Es ist etwas großes Absurdes. So ein Krieg mit den Jungs, die nur zum College gehen wollen, und mit den Wüstenländern, die auch etwas wollen.

An einem Morgen – liest man auf den letzten Seiten – wird am Strand des Indischen Ozeans ein großer Hai angeschwemmt. Dunkelgrau mit einem weißen Bauch und großen Zähnen. Soldaten rennen zum Strand, bestaunen, umkreisen ihn. „Bald wurde ihnen das zu langweilig, und sie fingen an, das Maul des Hais mit ihrem Gewehrkolben zu bearbeiten und ihm die Zähne auszuschlagen. Sie wollten Halsketten daraus machen.“ Jeder hat eine Digitalkamera, jeder macht Bilder. Ich vor einem Hai, irgendwo. Mitten im Krieg.

Matthew Eck: „Das entfernte Ufer“. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2008, 188 Seiten, 18,90 Euro