LeserInnenbriefe
: Betr.: Geschlossene Heime, taz hamburg vom 29.4.03

Lieber

Wirkungen und Nebenwirkungen geschlossener Heime sind ganz passabel erforscht. Ein für Laien überraschendes Ergebnis ist, dass mehr Jugendliche aus geschlossenen Einrichtungen weglaufen als aus nicht geschlossenen. Diese Tatsache ist durch eine sorgfältige Untersu-chung, in die alle geschlossenen Heimplätze einbezogen waren, belegt (Wolffersdorff, Sprau-Kuhlen). Die Heimerziehungsuntersuchungen belegen darüber hinaus, dass in geschlossenen Gruppen leicht ein extrem ungünstiges Lernfeld – sowohl unter den Jugendlichen als auch in ihrer Einstellung gegenüber den Mitarbeitern entsteht.

Sie belegen übrigens auch, dass einige Jugendliche rückblickend ihre Unterbringung als Entlastung beschreiben. Diese Fragen sind also komplex. Wägt man Vorteile und Nachteile gegeneinander ab, überwiegen die Nachteile ganz erheblich.

Ich lebe jedenfalls lieber und sicherer in einem Gemeinwesen, das sich um einen Teil seiner Jugendlichen ernsthafter Sorgen macht und sich bei den Antworten mehr Mühe gibt, als in einem, in dem man aus ideologischen Gründen das Heil ausschließlich in der geschlossenen Unterbringung sucht.

Prof. Dr. Klaus Wolf

(Universität Siegen)