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Archiv-Artikel

Die zwei Gesichter Kreuzbergs

Maifeiern auf der Oranienstraße – Randale am Lausitzer und am Heinrichplatz. Gewalttätige Migrantenkids geraten in den Fokus. Ausländerbeauftragte: Beunruhigende Verwahrlosung

von GEREON ASMUTH

Kreuzberg hatte in der Nacht des 1. Mai mehrere Gesichter. Während um den Oranienplatz die Konzerte des „MyFests“ weiterliefen, tobten weiter östlich Krawalle. An der Skalitzer Straße griffen türkisch- und arabischstämmige Jugendliche die Polizei an. Rund um den Lausitzer Platz randalierten deutsche Jugendliche.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sprach gestern von einer neuen Qualität der Gewalt. „Das waren nicht Jugendliche, die am Rande einer Demonstration bei der Randale mitmachen wollten, sondern vorbereitete Gewalttäter, die gezielt vorgegangen sind.“ Dabei war schon im vorigen Jahr auffällig, dass die Ausschreitungen nur wenig mit den Demos zu tun hatten. Neu war allenfalls die sichtbare örtliche Trennung – und dass so die Gewalt junger Migranten ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet.

„Die nennen ihre Randale ‚ein Erlebnis‘ “, erklärt der Migrationsforscher Ralph Ghadban. Das sei ein Anzeichen der Desintegration und dafür, dass es unter den Jugendlichen kein Gefühl sozialer Verantwortung gebe.

Auch die Ausländerbeauftragte Barbara John spricht von „Verwahrlosungserscheinungen“. Es sei höchst beunruhigend, dass es für diese türkischen Jugendlichen einfacher scheine, etwas kaputtzumachen, als etwas zu schaffen. John konstatiert ein Verschwinden elterlicher Autorität ebenso wie bei Schulen oder Jugendorganisationen. Es müsse daher ein Netzwerk aus Migrantenorganisationen, Moscheen, Eltern, Bezirk und Polizei geben, das Schüler schon dann erreiche, wenn sie beginnen, Normen zu übertreten.

„Ein Teil der türkischen Eltern ist leider nicht in der Lage, ihren Kindern zu helfen“, meint Ertekin Özcan, Vorstand des Türkischen Elternvereins. Zwar beende heute nur noch ein Viertel der Türkischstämmigen die Schule ohne Abschluss, vor 20 Jahren aber sei es noch die Hälfte gewesen – und das sei die heutige Elterngeneration. Er sieht Anzeichen dafür, dass wie bei den Deutschen links- und rechtsradikale Gruppierungen versuchten, die Jugendlichen zu gewinnen. Schlecht ausgebildete Eltern seien dann kaum in der Lage, entsprechend zu reagieren.

Auch Hilmi Kaya Turan, Vorstandsmitglied beim Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB), vermutet, dass bestimmte politische Gruppen ein Interesse hätten, Gewalt zu schüren. Anfällig seien dafür aber alle sozial benachteiligten Jugendlichen, egal welcher Herkunft. Bei denen spielten sowohl reiner Spaß als auch politischer Protest und Frustration eine Rolle.

Langfristig fordern daher alle eine verstärkte interkulturelle Erziehung, mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie Kultur- und Freizeitangebote – auch am 1. Mai. Das „MyFest“ sei ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, betont Turan. Leider habe man das Konzert mit dem türkischen Sänger Haluk Levent wohl zu spät angesetzt. Der sollte um 21.30 Uhr auf dem Mariannenplatz auftreten, da war der Platz längst von der Polizei geräumt. Aber, so Turan, „man darf jetzt nicht aufgeben“.

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