Sture Elbphilharmonie-Visionäre

Seit den neuen Kostensteigerungen für die Hamburger Elbphilharmonie mehren sich kritische Stimmen aus der Bevölkerung. Doch die Politiker blocken einen Baustopp ab. Dabei ist der Bau bislang wahrlich kein „Haus für alle“

Es ist ein bisschen wie in der Werbung: Egal, ob es um Anzeigen oder Sendeplätze geht – argumentiert wird stets mit der „gefühlten Wirkung“, sprich dem potenziellen Leser beziehungsweise Zuhörer. Wie viele die Produkte dann wirklich kaufen, misst wohlweislich keiner. Hauptsache, die Köder namens „Aufmerksamkeit“ und „Image“ haben funktioniert.

Ähnlich funktioniert das bei Großprojekten wie der Hamburger Elbphilharmonie: Auch hier sind gefühlter Ruhm und Optimismus-Schub vehement verteidigte Gründe für die Fortführung des Projekts. Jedenfalls seitens der Politiker, die auch angesichts der neuen Kostenexplosion auf rund 500 Millionen Euro keinen Baustopp erwägen. Und auch wenn da wohl Eitelkeit mitschwingt, stellt sich doch die Frage, was dahinter steckt. Ob Politiker, die architektonische Wahrzeichen planen, Größenwahnsinnige sind – oder Visionäre.

Mit anderen Worten: Wird es die Elbphilharmonie wirklich schaffen, Identifikationsobjekt für alle zu werden – einfach aufgrund ihrer spektakulären Optik? Wird der Bau gar Symbol einer Aufbruchsstimmung werden, wie es die neue Bibliothek in Kopenhagen wurde – die übrigens keine Bücher enthält?

Auszuschließen ist es nicht, sind Stimmungen doch schwankende Größen. Damit aber auch der nicht betuchte Hamburger stolz auf „seine Elphi“ sein kann, müssen die Planer noch viel erklären: dass es auch preisgünstige Konzerte geben und dass dies kein Elite-Bau sein wird.

Die Vision eines „Hauses für alle“ ist jedoch schwer zu vermitteln: Für alle kostenlos zugänglich wird nur die Aussichtsplaza sein. Oben drüber werden sich – neben den Konzertsälen – Luxuswohnungen und -hotels gruppieren. Otto Normalmensch hat keinen Zutritt, im Gegenteil: Auf hohem Ross beziehungsweise Sockel wird der Glaskoloss thronen. Von Bodenständigkeit ist hier keine Spur.

Das haben die Architekten der Osloer Oper besser gemacht: Der kann man im wahrsten Sinne aufs Dach steigen. Die kann sich die Bevölkerung flanierend und picknickend zu Eigen machen. Andernfalls wäre der Bau in dem Land mit der traditionell starken Arbeiterpartei auch gar nicht genehmigt worden.

In Hamburg musste man solche Rücksichten nicht nehmen. Das einzig Demokratische im Inneren der Elbphilharmonie ist der große Konzertsaal. Dessen Sitzreihen sind nicht hierarisch von vorn nach hinten, sondern gleichberechtigt um das Orchester herum gruppiert. Als Beweis für die Breitenwirksamkeit des Hauses reicht das jedoch nicht.

Die Langzeitwirkung des Projekts Elbphilharmonie bleibt unberechenbar. Vielleicht sind all dies Unkenrufe. Vielleicht wird im Eröffnungsjahr 2011 jeder froh sein, dass die Politiker so stur waren – als die Einzigen, die solche Großprojekte gegen hanseatische Kleinkrämerei verteidigen konnten. PETRA SCHELLEN