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Archiv-Artikel

Alltag auf der Ausfallstraße

Wong Kar Wai grüßt fest und freundlich aus der Ferne: Ariel Rotters Spielfilmdebüt „B. Aires – Sólo por hoy“ hat sich in die Lichtschlieren der Großstadtnacht verguckt

Treibend Elektronisches untermalt die Fahrt einer jungen Motorradfahrerin auf einer Ausfallstraße mit grünen Straßenschildern. Im Hintergrund erheben sich Hochhäuser, und die Kamera macht bunte Schlieren, die andeuten, dass Wong Kar Wai ästhetische Maßstäbe gesetzt haben könnte. Wo sind wir?

Wir sind in Buenos Aires und haben es mit fünf jungen Menschen zu tun. Dass die fünf unter einem Dach wohnen, als WG, erfahren wir erst relativ spät. Regisseur Ariel Rotter stellt uns Fer, Ailí, Toro, Morón und Equis zuerst bei ihrer Arbeit und Wunsch-Arbeit vor. Es sind schizophrene Zwickmühlen zwischen Broterwerb und Selbstverwirklichung, in denen sich die Protagonisten zerreiben.

Ailí, die Motorradfahrerin, macht ihr Geld als Kurierin und hat künstlerische Ambitionen, Morón hat just die Filmhochschule absolviert und befragt Menschen auf öffentlichen Plätzen nach ihren Vorstellungen vom Glück, Equis arbeitet in einer Großküche und träumt von Paris, Fer sollte ein Appartement renovieren, verfällt aber seinen depressiven Zuständen, Toro reinigt Hotelzimmer und mimt vor den Spiegeln in den Badezimmern den pathetischen Schauspieler.

„B. Aires – Sólo por hoy“ („B. Aires – Nur für heute“) entwickelt dann seine Stärken, wenn Ariel Rotter den Erzählstrang seines Drehbuchs vernachlässigt, und sich allein seinen Figuren und deren Alltag widmet: „Du bist das, was du jeden Tag tust“, behauptet er in einem Interview. Was er dabei im Blick hat, ist der Augenblick, in dem sich abzeichnet, dass der Putzjob, das Rackern als Küchenhilfe, die Renovierungsarbeiten keine Übergangsstadien zum Künstlerdasein bedeuten, sondern schlicht und ergreifend die langweilig perspektivlose Arbeit eines jeden Tages. Ein Augenblick, den andere auch Erwachsenwerden nennen.

Aber wie soll sich das als Spielfilm vermarkten lassen, wenn sich nirgendwo Hoffnung und Entwicklung abzeichnen? Als Fluchtlinie entwirft der Regisseur den erfolgversprechend starken Willen und große Worte wie Liebe und Glück. Und so verlässt er nach etwa der Hälfte des Films die Orte der Arbeit und konzentriert sich eher auf eine Frage: Kriegen sich die künstlerisch ambitionierte, gut aussehende Motorradkurierin und der Filmhochschulabsolvent oder nicht? Das ist dann, wie so oft, mal charmant, mal absehbar, mal langweilig, mal talentiert.

„B. Aires – Sólo por hoy“ ist ein Langfilmdebüt und kein Meisterwerk. Dass es Ariel Rotter mit seinem Film in die deutschen Kinos geschafft hat, dürfte damit zu tun haben, dass das junge, urbane Kino Lateinamerikas und insbesondere Argentiniens in den letzten Monaten zum Festivals- und Publikumsliebling wurde. Man liest das zurzeit ja immer wieder, wie junge argentinische Filmemacher und Filmemacherinnen die Diskrepanz betonen zwischen der desaströsen wirtschaftlichen Lage ihres Landes und der Aufbruchstimmung, in der sich die Szene der Filmenden befindet. Und natürlich ist nichts dagegen zu sagen, wenn unsere Leinwände von dieser Vielfalt profitieren.

ANNETT BUSCH

„B. Aires – Sólo por hoy“. Regie: Ariel Rotter. Mit Ailí Chen, Damián Dreizik u. a. Argentinien 2000, 100 Min.