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Archiv-Artikel

Gangster im Dunkel

Gegen alle Genreregeln: John Cassavetes’ Film „The Killing of a Chinese Bookie“ ist wieder im Kino zu sehen

Von allen Filmen, die John Cassavetes in den 70er-Jahren drehte, hat „The Killing of a Chinese Bookie“ die größten Missverständnisse ausgelöst. Bei „Minnie and Moskowitz“ und „A Women under the Influence“ konnten sich die Kritiker wenigstens noch auf die Hauptdarstellerin Gena Rowlands einigen; „Husbands“ und „Opening Night“ fielen durch, doch mit „The Killing of a Chinese Bookie“ entfremdete sich der Filmemacher endgültig von Kinopublikum und Kritik. Keiner der späteren Filme funktioniert so bedingungslos nach Cassavetes’ eigenem Regelwerk. Und das war stets auch das Gegenteil von dem, was New-Hollywood-Kollegen wie Scorsese oder Bogdanovich ihrer Filmsprache auferlegten.

„The Killing of a Chinese Bookie“ unterläuft alle Erwartungshaltungen an einen Thriller. Er lässt das Publikum in vielen Szenen buchstäblich im Dunkeln tappen und bremst Ansätze von Suspense und Action mit einer verstörenden Nonchalance aus. Roh wirken viele Szenen und Dialoge, fast ungespielt, als hätte Cassavetes einfach Schauspielproben in den Film eingebaut (was er tatsächlich oft tat). Ben Gazzaras Nachtclubbesitzer Cosmo Vittelli ist ein trauriger Selfmademan, von einem obskuren Lebenstraum getrieben.

Versucht man „The Killing of a Chinese Bookie“ als Familienfilm zu begreifen, findet man vielleicht am ehesten Zugang zu diesem unwirklichen Halbweltmilieu entlang des Sunset Strip, dem das Genrehafte so abgeht. Fast alle Filme von Cassavetes waren auf die eine oder andere Art Familienfilme, aber in Cosmo finden die Familienstrukturen erstmals einen väterlichen Rückhalt. Der Nachtclub, das „Crazy Horse West“, dient in „The Killing of a Chinese Bookie“ als familiärer Rückzugsort, und trotzdem bleibt dieser Ort bis zum Ende abstrakt. Cosmo bewegt sich durch seinen Club blind wie eine Fledermaus, die Nischen und Tische sind unausgeleuchtet, als könnte sich sein Lebenskonzept an dem Treiben dort stören. Das ist auch der bleibende Eindruck von Cassavetes Film: Dunkelheit, die alles Schlechte und Krankhafte verhüllt. Die Gewalt, die er selbst immer verabscheut hat. Die Gangster des Mobs, denen Cosmo viel Geld schuldet. Und Sex, dem Cassavetes nie eine besondere Bedeutung beigemessen hat.

Die Szenen mit seinen Angestellten sind Cassavetes großzügiger Gegenentwurf zu der Halbwelt der Kredithaie und Zuhälter. Für die Mädchen Rachel, Betty, Sherry, seinen Conferencier Mr. Sophistication oder Tony ist Cosmo eine Vaterfigur. Das „Crazy Horse West“ wiederum ist sein kleinbürgerlicher Traum von einer sorgenfreien Existenz. Er habe dieses Geschäft aus dem Nichts aufgebaut, erklärt er dem Gangsterboss, und niemand werde ihm das wegnehmen. Ob er schon einmal getötet habe, wollen sie darauf von ihm wissen. „Ja“, antwortet er tonlos. Und dann sehr bestimmt: „Im Krieg.“ Cosmo macht mit seinen breiten Hemdkragen, dem selbstsicheren Auftreten und der roten Orchidee im Knopfloch einen windigen Eindruck, aber es ist diese ihm eigene Moralität, die ihn im Gangstermilieu wie einen Fremdkörper erscheinen lässt. „Du bist ein Nichtsnutz“, zischt er am Anfang einen der Gangster an (sie alle sind besetzt mit den fantastischen Gesichtern aus der „Cassavetes Factory“: Seymour Cassel, Tim Carey, Robert Phillips). „Du hast keinen Stil.“

Sein eigener Stil wird Cosmo zum Verhängnis. Er macht Spielschulden, und seine Gläubiger fordern, dass er einen anderen Schuldner, einen Chinesen, umbringt. Titelgebend ist dieser Mord, aber Cassavetes inszeniert ihn gegen alle genreüblichen Konventionen. Wie in einen Supermarkt spaziert Cosmo auf das bewachte Grundstück. Und wann hat man schon mal einen Killer in einem städtischen Linienbus vom Tatort fliehen sehen? Solche Beiläufigkeiten, die von Kritikern mit Nachlässigkeit verwechselt wurden, durchziehen den gesamten Film.

In der von Ray Carney aufgeschriebenen und kommentierten (Auto-)Biografie Cassavetes’ heißt es, dass der Regisseur zunächst Angst vor „Killing of a Chinese Bookie“ gehabt habe, weil er nach „A Woman under the Influence“ einfach alles, was ihn persönlich beschäftigte, in seinen Filmen gesagt habe. Nun wollte er einmal arbeiten wie ein Profi. Mit einem Stoff, zu dem er eine persönliche Distanz besaß. „The Killing of the Chinese Bookie“ ist trotzdem ein Film, wie nur Cassavetes ihn machen konnte. Eine tragische Selbstbehauptungsgeschichte im Gewand eines Gangsterfilms. Ein Gangsterfilm mit den Mitteln des Cinema direct.

ANDREAS BUSCHE

„The Killing of a Chinese Bookie“. Regie: John Cassavetes. Mit Ben Gazzara, Seymour Cassel u. a. USA 1975, 109 Minuten