„ich habe es satt, gegen etwas sein zu müssen/ich will für etwas sein/ich will Schwarz-Grün“

„Schwarz“ waren die finsteren rechten Elterngestalten. „Grün“ war eine rebellische, linke Generation. Heute bricht die alte Polarität rechts/links auf. Die Rebellen sehnen sich nach Geborgenheit. Und Schwarz-Grün enthält die unerhörte Idee einer Versöhnung, die das ödipale Konfliktschema des Familiendramas Deutschland außer Kraft setzen könnte

von CHRISTIAN SCHNEIDER

An der von Edmund Stoiber neuerlich entfachten Debatte über Schwarz-Grün ist mancherlei bemerkenswert, am meisten vielleicht das Tempo, mit dem sie zunächst wieder in der Versenkung verschwand. Das Thema ist – fast – so alt wie die Grünen, zu deren Gründungsgestalten enttäuschte Christdemokraten zählten.

Die Farbkombination Schwarz-Grün scheint etwas Alarmierendes zu haben: Wann immer sie ins Spiel kommt, wird es flugs abgepfiffen. Dabei ist eine gründliche Reflexion auf die Option überfällig. Nicht nur, weil sich die innenpolitische Landschaft auf dem Hintergrund von lahmender Konjunktur und allgemeiner Krise der Parteien dramatisch verändert. Die möglicherweise aus rein taktischem Kalkül ins Spiel gebrachten Überlegungen Stoibers gründen de facto tiefer – und sie sind zeitgemäß, denn Schwarz-Grün erscheint nur mehr den Ideologen des Status quo auf beiden Seiten als undenkbar. Nicht dagegen den Pragmatikern, auch nicht den Programmatikern.

Auf der programmatischen Ebene geht es um die Möglichkeit, zwei Formen des Konservatismus zusammenzubringen. Es ist oft darauf hingewiesen worden, dass zum Kernbestand des grünen Denkens der Gestus des Bewahrens gehört, der sich gegen die verfehlte Politik einer immer weiter getriebenen Ausbeutung der Natur richtet.

In christlichen Termini hieße das: die Schöpfung bewahren. Diesem genuinen Öko-Konservatismus gegenüber steht – das ist die andere Seite des grünen Denkschemas – ein nahezu unüberwindbarer Zweifel am politischen Konservatismus.

Die prinzipielle Reserve gegenüber der Legitimität konservativer Positionen nach 1945, das heißt nach der Erfahrung von Weltkrieg und Holocaust, hat insbesondere jenen Grünen, die ihre Wurzeln in der Protest- oder der Friedensbewegung haben, nachhaltig die Chance verpatzt, Grundlinien eines „neuen“ Konservatismus zu formulieren.

Genau dies wäre aber die Grundlage dafür, die Option Schwarz-Grün ernst zu nehmen und nicht leichtfertig mit der Frage zu diskreditieren, ob man sich denn Angela Merkel als Kanzlerin vorstellen könne.

Tatsächlich wäre ernsthaft zu prüfen, ob die Schnittmengen zwischen dem neuen und dem alten Konservatismus nicht stärker sind als die zwischen den „alten und neuen sozialen Bewegungen“ – der Formel, unter der sich Rot-Grün formierte. Viele Wähler der Hamburger Grünen, etwa, sind so bürgerlich und so einkommensstark, dass ein Bündnis mit Ole von Beust und der CDU nach der morgigen Bürgerschaftswahl zwar nicht zwingend ist, aber grundsätzlich denkbar sein wird.

Das große Tabu

Dass diese Prüfung nicht vorbehaltlos geschieht, liegt an einem Tabu, das die Geschichte der Bundesrepublik geprägt hat. Sein Kern ist eine intergenerationelle Konfliktkonstellation, die sich in der bald 60-jährigen Nachkriegsgeschichte immer wieder zu erneuern scheint.

Vordergründig geht es dabei um die alte Polarität rechts-links, tatsächlich beruht ihre Dynamik auf anderen, scheinbar vorpolitischen Koordinaten: es geht um die Gegensatzpaare von alt und jung, bewahren und bewegen. Was das bedeutet, lässt sich am besten an der Gründergeneration der Grünen zeigen. In ihrem unbewussten Koordinatensystem beruht die Schwierigkeit, Schwarz-Grün als Option zuzulassen, auf der Verbindung eines politischen Urteils mit einer familiären Erfahrung.

Schwarz-Grün ist aus der Sicht dieser Generation unmöglich, weil für sie „Schwarz“ doch immer nur als eine Art Coverversion von „Braun“ gilt. Diese Farbenblindheit führt dann konsequent in den Albtraum einer Wiederkehr der NS-Gewalt.

Die Assoziationskette schwarz-braun-alt-gewalttätig-schuldig hat sich als reißfest erwiesen. Ihren Ursprung hat sie in der Erfahrung jener im Krieg oder der Nachkriegszeit Geborenen, die ihre eigene politische Existenz gegen „schwarzbraune“ Eltern und Lehrer in einem kategorischen Nein, im Protest begründen mussten. Als Protestpartei stürmten dann die Grünen zunächst die politische Bühne, ihnen ist die Imago „jung und aufrührerisch“ geblieben.

Dass dies spätestens 1998 obsolet wurde, haben viele der grünen Kerngeneration verleugnet – aus Gründen der Identitätswahrung. Auf Neinsagen geradezu schicksalhaft festgelegt, können sie sich vom Gestus des Protests nicht trennen, weil sie damit den Versuch ihrer politischen Selbstzeugung nachträglich entwerten würden. Das Pathos ihrer politischen Selbstverpflichtung: zu verhindern, dass jemals die Gewalt der Väter wiederkehre, legt sie unbewusst auf eine Kinderrolle fest. Diese Generation macht immer noch die Mehrheit der Parteibasis aus; ihre Schwierigkeit, Schwarz-Grün als Möglichkeit zuzulassen, basiert letztlich auf einer ödipalen Konstellation. „Schwarz“ – das sind die ewig nachwachsenden finsteren Elterngestalten. Dieses Wahrnehmungsschema ist stärker als jede nüchterne Realitätsprüfung, weil es mit einer Gewaltfantasie verknüpft ist.

Wie sehr diese Konstellation auch für die umgekehrte, die schwarze Perspektive gilt, haben arbeitsteilig der CSU-Vorsitzende Stoiber und sein Landesgruppenchef Michael Glos gezeigt. Bescheinigt der eine den Grünen mit paternalistischer Geste, das Stigma von Schmuddelkindern abgelegt zu haben, so verweist der andere, mit Äußerungen über die ehemaligen „Terroristen“ Joschka Fischer und Jürgen Trittin, auf ihre angeblich gewalttätige Jugend. Er mobilisiert damit das Eltern-Kind-Schema aus der Perspektive der alten Angst vor den gewaltsam anstürmenden „Jungen“ – reale Lebensalter spielen dabei keine Rolle.

In diesem Schema des wechselseitigen Gewaltvorbehalts bildet sich das destruktive Erbe der Bundesrepublik als Familiendrama ab. Die in den Siebzigerjahren aufbrechende terroristische Gewalt und die Antwort des Staates markiert den Schnittpunkt dieser beiden Linien. Man wird die Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik nur schreiben können, wenn es gelingt, die explosive Dynamik dieser Periode (die ja zur Vorgeschichte der grünen Partei gehört) zu entschlüsseln. Die Versuche, eine öffentliche Aufarbeitung dieses Kapitels zu verhindern, zeugen von einer beängstigenden sozialpsychologischen Kurzsichtigkeit.

Kurzsichtig wäre es auch, die Kehrseite des Vorbehalts gegen Schwarz-Grün nicht wahrzunehmen. Denn die verpönte politische Farbkombination beinhaltet – gerade für die aufs Neinsagen abonnierte grüne Gründergeneration – ein Angebot von verführerischer Attraktivität: Schwarz-Grün enthält die unerhörte Idee einer Versöhnung, die das ödipale Konfliktschema außer Kraft setzen könnte.

Die Verlockung hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die rebellische Generation müde geworden ist. Sie, die nicht älter werden wollte, weil sie unbewusst Alter mit Schuld verband, sehnt sich mittlerweile nach Ruhe und Befriedung: danach, endlich vom Zwang zur Negation erlöst zu werden.

„ich habe es satt, gegen etwas sein zu müssen/ich will für etwas sein/ich will schwarz-grün“, schreibt ein österreichischer Grüner im Internet. Und er fügt hinzu: „ich habe es satt, dass jene gehört werden, die am lautesten schreien! ich will, dass die gemäßigten kräfte, die schwarz und grün gewählt haben, ihre meinung äußern, nämlich dass sie sehr wohl miteinander können! es wird zeit, dass das gemeinsame wieder vor das trennende gestellt wird!!“

Einen solchen Aufschrei hat in Deutschland noch keiner gewagt. Hierzulande geben sich die Überlegungen zu Schwarzgrün so betont sachbezogen, dass die dahinter liegenden Fantasien unkenntlich bleiben. Der zentrale Fantasiegehalt von Schwarz-Grün, alte Trennungen zu revidieren, koinzidiert aus grüner Perspektive mit dem Traum, die juvenile Turbulenz politischer Bewegung in die Ruhe des Bewahrens zurückzunehmen. Es gibt ja mittlerweile ein eigenständiges politisches Erbe.

Schwarz-Grün kommt

Zu einem Zeitpunkt, da die „vaterlose“, auf Konflikt programmierte Nachkriegsgeneration ins Großväteralter tritt, wächst auf allen Seiten das Bedürfnis nach Ausgleich und gemäßigten Tönen. Nicht die lautstark Jungdynamischen finden derzeit auf der politischen Bühne Gehör, sondern, parteiübergreifend, diejenigen, die in einer Umbruchperiode, in der das Bewahren des Erreichten beinahe schon zur Utopie geworden ist, ein sachliches konservatives Standing glaubwürdig vertreten. Nicht das geringste Problem der deutschen Grünen ist, dass es in ihren Reihen wenige gibt, die das, etwa wie der österreichische Grünen-Chef Alexander von der Bellen, verkörpern können.

Nichtsdestotrotz: Schwarz-Grün, die heimliche politische Traumkonstellation der Deutschen, wird kommen. Erst mal auf Landesebene – und das vielleicht schon bald. Dann werden wir erleben, ob der Versöhnungstraum aufgeht oder, darin haben wir Deutschen ja Talent, ob er doch nur Illusion war und sich als Alptraum erweist.

CHRISTIAN SCHNEIDER ist Soziologe und Forschungsanalytiker in Frankfurt/Main. Seine E-Mail-Adresse: Dr.ChSchneider@t-online.de