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Archiv-Artikel

Einsatz auf der Insel der Stabilität

In Kundus sind Bundeswehrsoldaten stationiert. Was können sie bewirken? Sie richten vermutlich keinen Schaden an. Aber ist das, was sie tun, nützlich?

Unter einer Burka ragen Stöckelschuhe hervor, so hoch, dass sie waffen-scheinpflichtig sein sollten

AUS KUNDUS BETTINA GAUS

Das gibt es in der Gegend um Kundus nicht zu sehen: deutsche Soldaten inmitten blühenden Schlafmohns, dessen Saft den Grundstoff für Heroin liefert. Und das gibt es auch nicht zu sehen: verzweifelte Frauen und Kinder, die ihre letzte Hoffnung auf die Bundeswehr richten, damit sie im Chaos eines zerfallenen Staates überleben können.

Kundus ist eine nette Kleinstadt. Sehr friedlich wirkt der nordafghanische Ort, in dessen unmittelbarer Umgebung überwiegend Reis und Getreide angebaut werden – und auf mitteleuropäische Augen sehr fremd. Es gibt viele Taxis: Eselskarren, bunt geschmückt mit farbigen Bommeln und Federbüschen. In niedrigen Ziegel- und Lehmgebäuden sind Tischlereien, Schneidereien und kleine Läden untergebracht. Mit erstaunlich großem, auch importiertem Warenangebot: Billigimitaten von Barbie-Puppen, beispielsweise.

Wer kauft die für wen an einem Ort, an dem keine einheimische Frau ihr Haus ohne leuchtend blaue oder weiße Burka verlässt? Das ist jene Gankörperverhüllung, die einen Blick auf die Welt nur durch ein Gitter aus Wolle zulässt und die hier in der Provinz auch nach dem Sturz des Taliban-Regimes die einzig akzeptable Kleidung für eine anständige Frau geblieben ist. Was darf sie sonst noch tragen? Manchmal ragen Stöckelschuhe unter einer Burka hervor, die so hoch sind, dass sie waffenscheinpflichtig sein sollten. Wo sind die hergestellt worden, wo gekauft? Je mehr man mitbekommt, desto unverständlicher werden die Widersprüche.

Wer mit der Bundeswehr nach Kundus reist und das Land vorher nicht gekannt hat, fühlt sich, als seien die Augen verbunden. Man begreift gar nichts. Wer verfolgt hier welche Absichten? Kriegsmüde und fleißig seien die Leute, sagen alle Gesprächspartner übereinstimmend, deutsche und afghanische. Das mag so sein, und die Begeisterung, mit der Kinder wie Erwachsene den Geländewagen der Bundeswehr zuwinken, scheint diese Einschätzung zu bestätigen. Aber es sind in einem bürgerkriegszerrissenen Land selten Zivilisten, die über Krieg und Frieden entscheiden.

Dem starken Mann der Region, Mohammed Daud, werden politische Ambitionen nachgesagt. Seine vormalige Privatarmee ist zu einem offiziellen Teil der afghanischen Streitkräfte erklärt worden, und er gibt sich loyal gegenüber der fragilen Zentralregierung in der fernen Hauptstadt Kabul. Dazu gehört auch, dass er betont, keine Verbindung mit den Drogenhändlern der Region zu haben. Sehr entgegenkommend. Und sehr wenig glaubhaft. Die Anbaugebiete des Mohns liegen in so unwegsamem Gelände, dass sie von der Bundeswehr noch nicht einmal erreicht worden sind. Ist es vorstellbar, dass Daud die Haupteinnahmequelle der Region nicht kontrolliert? Das ist nicht vorstellbar.

Die Bundeswehr ist in Kundus gegenwärtig mit etwa 230 Männern und Frauen vertreten. Allenfalls ein Viertel davon darf das Lager überhaupt verlassen – die anderen sind mit internen logistischen und organisatorischen Aufgaben betraut. Was für eine Wirkung können 60 Leute erzielen, die herumfahren und die Bevölkerung von der segensreichen Wirkung zentralstaatlicher Strukturen zu überzeugen suchen? Sie richten vermutlich keinen Schaden an. Aber ist das, was sie tun, nützlich?

Die meisten Gegner wie auch die Befürworter des Krieges gegen das Taliban-Regime stimmten immerhin darin überein, dass Afghanistan nicht sich selbst überlassen werden durfte. Für eine flächendeckende, effiziente Verwaltung des Landes fehlt es der internationalen Gemeinschaft allerdings sowohl am Geld als auch am politischen Willen. Also beschloss man, so genannnte Inseln der Stabilität zu erreichten – in der vagen Hoffnung, dass dies Signalwirkung für den Rest des Landes haben wird. Kundus ist eine dieser Inseln. Vielleicht wird sie, sicherheitspolitisch gesehen, irgendwann zum „Festland“.

Ist das realistisch? Der Presseoffizier der Bundeswehr bittet darum, niemanden aus dem Camp der deutschen Armee ohne Autorisierung namentlich zu zitieren. Für offizielle Äußerungen sei allein Kommandeur Ferdinand Baur zuständig. Der spricht von „vertrauensbildenden Maßnahmen“. Mit konkreten politischen Äußerungen hält er sich zurück. Nur so viel: Falls Chaos ausbräche, dann sei sein „Auftrag hier beendet“. Soll heißen: Dann werden die Angehörigen der Bundeswehr evakuiert.

Mohammed Daud ist besser ausgerüstet als die deutschen Soldaten. Er verfügt über Panzer, diese hingegen nicht über panzerbrechende Waffen. Der regionale Fürst könnte die Deutschen jederzeit aus seinem Gebiet vertreiben. Allerdings hätte er dann wohl die US-Luftwaffe am Hals, die nicht unter UN-Mandat, sondern im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ operiert, also einen Kampfauftrag erfüllt. Krieg und Frieden scheinen sich in Afghanistan nicht eindeutig voneinander trennen zu lassen.

Aber vielleicht geht ja alles gut. Vielleicht bekommt Daud den politischen Job, den er sich erträumt, und vielleicht strahlt der Friede von Kundus auf andere Regionen aus. Manche Deutsche scheinen davon überzeugt zu sein: Ein Pärchen aus Braunschweig, beide Ende 20, hat gerade ein kleines Restaurant mit angeschlossenem Hotel in Kundus eröffnet. Es soll vor allem für NGO-Mitarbeiter und Journalisten eine Oase bieten. Eine moderne Form des Marketendertums.

Unterdessen baut die Bundeswehr am Stadtrand ein dringend benötigtes, größeres Camp. Es wird zum Jahresende fertig sein, also nachdem – im Oktober – das Mandat für die Truppe abgelaufen ist. Sollte der Bundestag das Mandat nicht verlängern, so Baur, dann könne daraus ein Konferenzzentrum für Afghanistan gemacht werden. Nun ja. Das Parlament wird schon zustimmen.