Erlebnis in der Kurve

Seiner Kistenhaftigkeit setzt Vegesacks neues Einkaufszentrum Haven Höövt den gebogenen Weg im Inneren entgegen. Raumpsychologisch liegt hinter der Biegung das Ziel. Edgar Allen Poes „Mann in der Menge“ hätte seine Freude daran gehabt

Das Runde muss in das Eckige – diese alte Fußballerweisheit gilt seit neuestem auch für Architekten. Für die Architektur von Einkaufszentren zumindest, jenem Gebäudetypus, der ja von außen meist nur schwer seine prinzipielle Kistenhaftigkeit verbergen kann. Das Runde zeigt sich hier in der Form der inneren Ladenstraßen. Diese durchschneiden die Baukörper nun vermehrt nicht mehr axial, sondern sind bogenförmig angelegt. Das ist beim “Starwalk“ im Spacepark so, und das ist in besonderer Weise für das Haven Höövt kennzeichnend, Vegesacks neuem „Erlebnis-, Einkaufs- und Dienstleistungszentrum“.

Den Grund für den Formwandel mag man in raumpsychologischen Erkenntnissen suchen. Der gebogene Weg erzeugt eine seltsame Spannung. Er weckt die vage Erwartung auf ein irgendwo gelegenes Ziel. Gestützt wird dieser Raumeindruck im nordbremischen Einkaufsparadies durch den Wechsel von dunklen, mit bläulichen Neonbändern akzentuierten Zonen und solchen, die seitlich oder von oben Tageslicht empfangen. Tatsächlich findet man an den beiden Endpunkten der sichelförmigen Passage nichts wirklich Beeindruckendes. Der eine präsentiert eine gestalterisch angestrengt wirkende gläserne Rotunde, die an den Schornstein eines Dampfers erinnern will. Auf der andere Seite öffnet funktional banal „Marktkauf“ seinen Riesenschlund.

So lässt sich als entscheidender Effekt des gebogenen Weges festhalten: Er ist bereits das Ziel – oder zumindest das stärkste Erlebnis. Im Stimmengewirr und Geschiebe des Besucherstroms würde ein Wiedergänger von Edgar Allen Poes „Mann in der Menge“ eine gute Rolle spielen, wie er sich von morgens bis abends ununterbrochen von einem Ende zum anderen bewegt, ständig zwischen dem breiten Gang im Erdgeschoss und den schmalen Galerien im Obergeschoss wechselnd. Bei Geschäftsschluss würde er allerdings aus diesem Terrarium künstlicher Urbanität auf den zugigen Bahnhofsplatz verstoßen.

Doch hat die Sichel noch eine ganz andere Funktion: Sie soll innenräumlich überspielen, dass sich das Center aufgrund des Grundstückszuschnittes aus zwei separaten Baukörpern zusammensetzt, die fast rechtwinklig zueinander angeordnet sind. Der vordere liegt parallel zum Hafen und nimmt das Gros der Läden auf. Der hintere richtet sich an der Lesum aus und bietet vor allem 1.200 Stellplätze für die Autos der Kunden. Die gebogene Passage verbindet im Obergeschoss als gläserne Brücke beide Bauten. Von hier hat man einen herrlichen Ausblick auf die Flussseite, der aber demnächst auch schon wieder verstellt sein wird. An dieser Stelle soll das zusätzlich geplante Veranstaltungszentrum andocken.

Die Zweiteilung des Centers hat den Vorteil, dass das Gesamtvolumen nicht ganz so erdrückend in Erscheinung tritt. Doch ist das, was an der Hafenseite übrig bleibt, immer noch ein gehöriger Klotz, der optisch eher an die Großwohnanlage „Grohner Düne“ aus den frühen Siebzigerjahren anschließt als an die kleinteilige Struktur des Fährquartiers aus den Achtzigerjahren auf der anderen Seite. Der Architekt hat diesen Fakt durch ein Stakkato von Gliederungselementen zu überspielen versucht: Organischer Schwung neben kubischer Schwerfälligkeit neben lebhafter Staffelung; Glas neben Putz neben Backstein; und über allem schwebt ein dekonstruktivistisch zergliedertes Flugdachgebilde, das, von zahnstocherartigen Stützen getragen, in eine luftige Galerie ausläuft.

Mit dem Haven Höövt verbindet sich der Name des Investors Frank H. Albrecht. Auf dem Bauschild und in den Werbeprospekten findet man eher im Kleingedruckten, dass Christian Bockholt von der Bremer Bau+Plan GmbH architektonisch verantwortlich zeichnet. Die Architektur gerät hier zur Fußnote einer Unternehmensphilosophie, die auf erlebnis- und unterhaltungsorientierte Geschäfte zielt. Dass sich Architektur auch öffentlichen Ansprüchen zu stellen hat, wird dabei allzu leicht vergessen. Fortsetzung folgt am Sedanplatz und an Bremerhavens Deich, wo die nächsten bremischen Projekte Albrechts anstehen.

Eberhard Syring