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Archiv-Artikel

Unheimliches Timing

Michael Moores Dokumentarfilm „Bowling for Columbine“ wurde ko-produziert von Wolfram Tichy. Am Mittwoch kommt Tichy nach Bremen

Wolfram Tichy, 57, war als ausführender Produzent an der Entstehung von „Bowling for Columbine“ beteiligt. Sein Filmfonds „Vif Babelsberger Filmproduktion GmbH“ übernahm etwa 50 Prozent der Produktionskosten, die, so Tichy, bei insgesamt „weit über drei Millionen Dollar“ liegen. Am Mittwoch, 7.5., ist Tichy zu Gast im Kino 46. Er wird im Anschluss an die 20.30 Uhr-Vorstellung von „Bowling for Columbine“ mit dem Publikum über die Hintergründe der Entstehung des Films und die Zusammenarbeit mit Michael Moore sprechen.

Herr Tichy, Regisseur Michael Moore fand für „Bowling for Columbine“ im eigenen Land keine Produzenten, wandte sich dann an die kanadische Produktionsfirma „Salter Streets“ und an Sie. Wie kam das?

Wolfram Tichy: Vor über drei Jahren kam mein damaliger Koproduzent einer Fernsehserie auf mich zu und fragte, ob ich nicht einen Dokumentarfilm mit Michael Moore machen wollte, weil er gerade die Fernsehserie „The Awful Truth“ mit Moore produzierte. Ich war da erst mal zögerlich, weil Dokumentarfilme nicht mein Spezialgebiet waren. Dann machte mir Moore Themenvorschläge. Als wir auf das Thema „Waffenkontrolle“ und „Columbine“ kamen, habe ich gesagt: Das kann ich mir vorstellen, das ist über Amerika hinaus von Relevanz und Interesse. Das war drei Jahre vor Erfurt und es war natürlich nicht abzusehen, wie relevant der Film werden würde.

Inwiefern waren Sie an der inhaltlichen Entwicklung des Films beteiligt?

Wir haben uns immer wieder sehr intensiv ausgetauscht, wo die Richtung hingeht und haben Zwischenergebnisse kommentiert. Am meisten habe ich eingewirkt bei der Definition des Themas am Anfang, weil ich naturgemäß sehr großen Wert darauf legen musste, dass das Thema weltweit ankommt.

Der Film sorgt für volle Kinokassen, außerdem gewann er den Spezialpreis bei den Filmfestspielen in Cannes und den Oskar in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“. Wie erklären Sie sich den Erfolg?

Erstens ist es die Qualität des Films, der sein eindringliches Thema mit einem sehr bissigen Humor auf eine fast süffige Weise vermittelt. Das Zweite ist unplanbar gewesen: Das ist die geradezu unheimliche Präzision des Timings, mit der der Film rauskam. In die Zeit der Dreharbeiten fiel der 11. September. In Folge dieser Ereignisse wurde der Film noch mal stark umgearbeitet und bekam einen viel stärkeren Fokus als ursprünglich beabsichtigt auf die amerikanische Bereitschaft, Gewalt in Kauf zu nehmen. Dazu kamen Erfurt und das Vorfeld des Irak-Krieges: Der Film hätte nicht zeitgemäßer sein können. Ich stehe da bis heute sehr zwiespältig dazu, ob das etwas Gutes ist. Damals habe ich gesagt: „Diese Aktualität hätte ich mir weder gewünscht noch träumen lassen“.

Welches Thema werden Sie als nächstes anpacken?

Michael Moore hat für seinen nächsten Film über das weitere Umfeld der Familie Bush einen amerikanischen Ko-Produzenten gefunden, das ist Mel Gibsons Firma. Mir wäre dieses nächste Moore-Projekt wieder zu amerikanisch. Abgesehen davon: Ich bin nach wie vor kein Dokumentarfilmspezialist. Ich mache inzwischen wieder Filme im fiktionalen Bereich.

Neben dem vielen Lob gab es auch kritische Stimmen zu „Bowling for Columbine“. In der taz war zu lesen von „Komplexitätsreduktion. Moore biegt sich die Verhältnisse so zurecht, dass sie seinem (Selbst-)Inszenierungsstil entsprechen.“ Was sagen Sie dazu?

Man kann den Vorwurf nicht ganz von der Hand weisen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob irgendein anderes Verfahren, als die Thesen so zuzuspitzen, dass sie verständlich sind, in einem Film sinnvoll wäre. Ich könnte mir natürlich ein sehr wissenschaftliches Werk mit vielen „Wenns“ und „Abers“ und „Obs“ vorstellen. Das würde ungefähr zwanzig Stunden lang sein und kein Mensch würde sich das ankucken. Das heißt: Bestimmte Botschaften muss man verkürzen. Solange man sie nicht verfälscht, ist das auch legitim.

Interview: Klaus Irler