: Global Beats in europäischem Gewand
Mit Funkhaus Europa hat der WDR im Mai 1999 ein ungewöhnliches Programm ins Leben gerufen: tanzbare Weltmusik, muttersprachliche Sendungen im Wechsel mit Europa-Magazinen. 22 Prozent der Einwanderer in NRW hören den Sender regelmäßig, elf Prozent schalten täglich Funkhaus Europa ein
Wegen eines Geburtsfehlers kann der WDR für seine heimliche sechste Welle auf 103,3 nicht so offensiv Werbung betreiben, wie er gerne würde. Dabei will Funkhaus Europa verschiedenste Zielgruppen erreichen: Einwanderer mehrerer Generationen, europa-interessierte Deutsche und Fans der Weltmusik
VON NATALIE WIESMANN
„Europa verstehen wir geografisch, nicht politisch“, sagt Johannes Duchrow, Senderedakteur des europäischen Morgenmagazins „Cosmo“ an diesem Morgen. Deshalb gehörten auch die Geschehnisse in der Türkei, Russland und der Schweiz in die dreistündige Sendung von Funkhaus Europa. „Zumal sehr viele unserer Zuhörer aus Nicht-EU-Ländern kommen.“ Cosmo informiert täglich über aktuelle und latent aktuelle Themen. Spionage-Skandal in Großbritannien, Wahlen in Hamburg, die neue EU-Außengrenze in Ungarn und die Demonstration gegen die baskische Befreiungsorganisation ETA in Madrid stehen zwischen acht und neun Uhr heute auf dem Programm.
„Sehr oft greifen wir Themen auf, die woanders nicht laufen“, so Redakteur Johannes Duchrow, der seit drei Jahren beim Sender ist. Das liege daran, dass man oft neben den ARD-Korrespondenten muttersprachliche Journalisten in den Ländern zur Verfügung habe. Vor allem an Orten, „wo es sich für die ARD nicht lohnt“. Beim Wortbeitrag „Demo gegen die ETA“ schüttelt Duchrow unzufrieden den Kopf. Der Moderatorin gelingt es nicht, den Reporter vor Ort davon abzubringen, auf ihre Fragen mit Insider-Wissen zu antworten. „Es ist oft ein Drahtseilakt, die Hörer, die sich auskennen, nicht zu langweilen und gleichzeitig interessierte Laien nicht abzuhängen“, sagt er.
Wie auch bei den meisten anderen Radiosendern läuft bei der Weltmusik-Welle die Musik computergestützt, zumindest bei den Wortmagazinen. Tom Petersen, Leiter der Musikredaktion, speist mit seinen KollegInnen neue Hits in den Computer. Dieser stellt dann aus dem Pool für jede Sendung ein Musikprogramm zusammen. Berücksichtigt werden muss dabei die Hot Rotation, das heißt hitverdächtige Titel, die mindestens einmal am Tag laufen. Vor der Sendung checkt Petersen noch einmal das Programm: „Manchmal laufen zu viele spanischsprachige Lieder oder zu viele für westeuropäische Ohren befremdliche Lieder hintereinander...“
Für Hitparaden-Fans gibt es bei Funkhaus Europa auch eine Trend-Sendung namens Globalista, samstags zwischen 9 und 12 Uhr. Dort laufen dann auch die World-Music-Charts. Das sei aber keine Verkaufs-Hitparade, klärt Petersen auf. Die Charts werden von Fachleuten aus der Branche zusammengestellt. In der Nachbesprechung des Mittagsmagazins „Piazza“ wird heiß darüber diskutiert, ob die Wissenschaftlerin im Studio nun wirklich etwas über türkische Männer zu sagen hatte, oder nicht. Von den zwölf festen Redakteurinnen und Redakteuren der deutschsprachigen Sendungen hat mehr als die Hälfte einen Einwanderungshintergrund. „Wir haben so immer einen etwas anderen Blick auf die Themen“, sagt Programm-Chefin Jona Teichmann. Sie legt Wert darauf, dass die Einwanderungsrealität sich nicht nur in ihren Beiträgen, sondern auch in der Redaktion widerspiegelt.
Den Abend in Funkhaus Europa gestalten die Fremdsprachenprogramme. Die gibt es in der ARD bereits seit den sechziger Jahren. „Früher beschäftigten die sich fast ausschließlich mit dem Heimatland, weil alle Beteiligten dachten, die Gastarbeiter würden bald wieder zurückgehen“, so Teichmann. Heute enthalten sie einen Mix aus Themen ihrer alten Heimat, aber auch solche, die ihre „Community“ hier betreffen. „Außerdem soll die Generation, die hier aufgewachsen ist und oft die Sprache der Eltern nicht mehr korrekt spricht, sich weiterbilden können“, sagt sie. Bei Funkhaus Europa selbst hat eine italienische, eine ex-jugoslawische und eine türkische Redaktion ihren Sitz. Die anderen muttersprachlichen Programme werden von anderen ARD-Sendern zugeliefert, vom SFB-Radio Multi Kulti, dem HR und dem NDR. Die Nachrichten werden im Übrigen von Radio Bremen geliefert.
„Oh yo, oh yo, Francis Gay is in the house“... Im Ein-Mann-Studio von Musikredakteur Francis Gay sitzen drei bunt gekleidete Senegalesen vor dem Mikro und rappen im Freestyle auf Englisch, Französisch und einer der vielen senegalesischen Sprachen: Die Gruppe Daara J gibt in der Sendung „Mondo Cannibale“ eine Kostprobe ab, Gay hat sie spontan für die Funkhaus Europa-Global Player-Party am gleichen Abend gebucht. Die Band erzählt auf französisch über die senegalesische Musik-Szene und der Moderator, gebürtig aus Bordeaux, fasst für die deutschen HörerInnen zusammen: „Wir wollen die feindlichen Volksgruppen im Senegal und seinen Nachbarländern mit unserer Musik vereinen“.
In der Sendung „Mondo Cannibale“ informiert die Weltmusik-Koryphäe über Bands und Texte und ordnet diese in größere Zusammenhänge ein: „Die Gruppe Amparanoia gehört der spanischen Mestizo-Bewegung an, auch die „unbequemen Kinder der Globalisierung“ genannt. „Die Mestizo-Bewegung gilt als musikalische Hochzeit zwischen Lateinamerika und der alten Welt“, so Gay mit seinem charmanten französischen Akzent. Die neuen musikalischen Netzwerke, die unterschiedlichste Genres miteinander verweben, gelten als Sprachrohr gegen die sozialen Folgen der Globalisierung. „Und diese stehen der attac-Bewegung sehr nahe“, erklärt Francis Gay.
In der Redaktionssitzung der türkischen Abteilung wird gerade eine der beiden türkischsprachigen Wochenend-Sendungen besprochen, in der das Thema „Hilfe, wir sind zu früh Eltern geworden“ mit den Hörern diskutiert wird. Oft switchen ModeratorInnen und HörerInnen von Deutsch zu Türkisch und umgekehrt. Der neue Programm-Chef, Erkan Arikan, trägt als einziger in der Redaktion Hemd und Krawatte und ist kein unbekanntes Gesicht. „Ich war Nachrichtensprecher bei ntv“, klärt er auf. Nach vielen Jahren Fernsehen suchte er nach einer neuen Herausforderung. Köln findet er als Berliner zu kleinstädtisch, aber es mache Spaß, sich „mal um die türkische Community zu kümmern“.
Die Hauptzielgruppe von Funkhaus Europa sind Menschen mit multikulturellem Hintergrund: Seien es Einwanderer, ihre Kinder oder Kinder aus binationalen Ehen. Auch europa-interessierte Deutsche und die steigende Zahl an Weltmusik-Anhängern sollen angesprochen werden. Da Menschen nichtdeutscher Herkunft in den Medienakzeptanzforschung nicht gesondert ausgewiesen werden, hat der WDR 2002 eine eigene Umfrage in den größten Einwanderungsgruppen Nordrhein-Westfalen – Türken, Italiener, Jugoslawen und Griechen – durchgeführt. Dabei kam heraus, dass 22 Prozent der Zielgruppe in den letzten 14 Tagen das Programm gehört haben. Täglich erreicht der Sender elf Prozent. In der Rangliste der meistgehörten Radioprogramme rangiert Funkhaus Europa bei den Befragten bereits an dritter Stelle nach Lokalfunk und EinsLive und noch vor WDR 2 und WDR 4.
Funkhaus Europa feiert im Mai seinen fünften Geburtstag. Intern gilt derSender als Aushängeschild des WDR. Trotzdem kennen viele Menschen den ambitionierten Sender nicht, er wird eher über Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt gemacht als durch offensive Werbung. Und das ist kein Zufall, weiß Hartmut Glaesmann, Geschäftsführer beim privat organisierten Radio NRW. Er ärgert sich über die Unwilligkeit des WDR, von ihrer Medienmacht etwas abzugeben. 1998 wurde von der Landesanstalt für Medien – für die Kontrolle und Beratung des privaten Rundfunks zuständig – ein Frequenzgutachten in Auftrag gegeben. Dabei kam heraus, dass der WDR mancherorts mit seinen fünf Sendern auf mehreren Frequenzen zu hören sei. Die Welle 103,3, stellte dieses fest, könnte an die Privaten abgeben werden, ohne dass der WDR damit Versorgungsprobleme habe. Um diese nicht abgeben zu müssen, so Glaesmann, habe der WDR ein neues Programm aus dem Boden gestampft. „Das fanden wir überhaupt nicht witzig, konnten aber nichts daran ändern“, so Glaesmann.
„Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Gründung von Funkhaus Europa und dem Frequenzgutachten“, so Uwe-Jens Lindner, Pressesprecher des WDR. Die Idee für ein solches Format habe Intendant Fritz Pleitgen bereits viele Jahre zuvor geboren. Warum wird aber Funkhaus Europa als Programm von WDR 5 bezeichnet, wo es faktisch eine eigene landesweite Frequenz auf 103,3 hat? Der WDR habe keine sechs Wellen, so Lindner. Denn: „Funkhaus Europa kann man nicht im ganzen Land empfangen.“ Aber fast.
Trotz dessen muss man dem Sender Eines lassen: Er sticht aus dem normalen Radio-Einheitsbrei durch überraschende Beiträge und Musik stark hervor.