: Die Wiederkehr der Bananenstaude
Ist Erinnerung nichts anderes als Wiederholung rückwärts? Die Performance „Wieder Nahme Gabe Auf“ im Dock 11 spielt mit dieser Vorstellung. Ein Zeittunnel öffnet sich und Tänzer hasten den eigenen Bildern in Projektionen nach
Der Abend beginnt mit einer Aufforderung: „Lassen Sie sich nicht überraschen!“ Doch ist man nicht genau deshalb gekommen, um sich überraschen zu lassen, zu sehen, was man noch nicht gesehen hat? „Wieder Nahme Gabe Auf“, das Stück des finnischen Tänzers und Choreographen Tomi Paasonen am „Dock 11“, aber will ein Spiel mit allem sein, zu dem sich der Titel zusammensetzen lässt. Paasonen spielt mit der Rolle der Darsteller ebenso wie mit der Zuschauerrolle. Vor allem aber geht es ihm um eines: um Wiederholung.
Wo es um Wiederholung geht, das ist Lektion Nummer eins, da geht es um Differenz. Yuko Matsuyama, die in der Art strahlender Conférenciers das Publikum mehrfach begrüßt hat, verlässt den Raum durch die Stahltür am Bühnenende. Sie wird wieder hereinkommen, wieder und wieder, ihre Worte wiederholen, und mit der gleichen Bananenstaude in der Hand. Allein: Sie wird immer anders gekleidet sein.
Zu Cembaloklängen wird es dunkel, und der Körper von Yannis Adonious, den Matsuyamas Weg kreuzt, zur Gliederpuppe. Er wird gezogen, er schiebt nach, strebt in verschiedene Richtungen, gleitet zurück in die Achse. Es durchfährt seinen Körper, mal wie ein Hauch, mal wie ein Stoß, er gibt nach, gibt sich hin. Matsuyamo kommt zurück, die Bananen in der Hand: „Darf ich vorstellen: eine Vorstellung. Falls die Vorstellung nicht Ihrer Vorstellung von einer Vorstellung entspricht, sollten Sie sich nicht so anstellen. Folgen Sie einfach ihrer eigenen Vorstellung, während wir mit der Vorstellung fortfahren, so wie wir sie uns vorgestellt haben.“
Sie geht, Adoniou tanzt erneut. Das was er gerade schon tanzte, ist jetzt an das rohe Mauerwerk projiziert. So tanzt Adoniou seiner eigenen Gestalt hinterher, nur ist die immer schneller, immer zuerst da, wo er hinstrebt. Schließlich ist der Tänzer vierfach zu sehen: Da sind seine zwei Vorgänger, da ist sein Schatten an der Wand, viel größer als alle, und da ist er selbst. Es hat etwas von der Dramatik des Stummfilms, wie sie alle dem Ersten nachhasten, wie sie immer schneller zu werden scheinen.
Die mehrfachen Projektionen ziehen den Raum auf und öffnnen ihn für ein Vergangenes. Wenn Carlos Osatinsky, der dritte Mitspieler, von seinem eigenen Bild überblendet an der Wand lehnt, wirkt das Mauerwerk wie eine Straßenflucht. Vor Jahren mag er so gestanden haben, Erinnerung an eine ferne Zeit. Dies sind die stärksten Momente des Abends, wenn die übereinander gelegten Bilder die Zeit auffächern. Wiederholung und Erinnerung, so heißt es im Beitext, seien dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung: „Was man erinnert, ist gewesen und wird rückwärts wiederholt, die Widerholung wird vorwärts erinnert.“
Auch Tanzenlernen funktioniert so – nachtanzen, wieder und wieder dieselbe Bewegung. Wo es um Wiederholung geht, das ist eine andere Lektion, da ist der Ennui nicht fern. „Wieder Nahme Gabe Auf“ lässt diesen Ennui mit maliziösem Vergnügen entstehen. Das macht Spaß, bis es gegen Ende allzu offenkundig bizarr wird. Da wird ein Industriegeräusch langsam zum veritablen Lärm, als Projektion sind Treppen aus Metallgittern zu sehen, und in gigantische Keulenärmel, Hahnentrittleggings und goldenes Gürtelchen gehüllt gibt Masuyama vor, auf einem Seil zu balancieren. Erst singt sie, dann kreischt sie die Melodie von „Frère Jacques“; sie bewegt sich langsam und pantomimisch in Richtung Tür und eine gefühlte Ewigkeit mag man hoffen, sie würde sie endlich erreichen. Im Gedächtnis bleiben die dichteren Bilder.
KATRIN KRUSE
„Nahme Wieder Gabe Auf“, Dock 11, Kastanienallee 79, 3.–6. März 20.30 Uhr