: Editorial
Es sind nicht nur die Flüsse Oder und Neiße, die das Land zwischen Stettin und Görlitz zum Zweistromland machen. In der deutsch-polnischen Grenzregion verlaufen viele Entwicklungen parallel. Ein Beispiel: Sowohl die deutsche als auch die polnische Seite gehören zur Peripherie ihrer eigenen Länder. Und das ist nicht nur geografisch gemeint, sondern auch wirtschaftlich, kulturell und geschichtlich.
Nur ein gemeinsames Flussbett haben beide Landstriche noch nicht gefunden. Auf der polnischen Seite von Oder und Neiße liegt vielmehr der „Wilde Westen“, auf der deutschen der „fremde Osten“. Auf beiden Seiten leben Menschen, deren Eltern noch zu einer Generation gehörten, die Krieg und Vertreibung auf beide Seiten der Flüsse gebracht hat. Es hat bis zur ersten Öffnung der Grenze 1972 bis 1980 gedauert, bis sich die Bewohner des Zweistromlands begegnen konnten, schreibt Christian Semler über die Geschichte der Region. Doch ein richtiges Grenzgebiet ist das Gebiet noch immer nicht, wie Andrzej Kotula meint. Man wisse viel zu wenig voneinander, was nicht zuletzt mit der Beschränkung der Medienberichterstattung auf Kriminalität und Staus an den Grenzübergängen zu tun habe.
Die Stereotype, wie man sie in vielen Medien noch findet, stehen allerdings in keinem Zusammenhang mit den zahlreichen grenzüberschreitenden Projekten, die sich seit der endgültigen Öffnung der Grenze entwickelt haben. Dazu gehört auch die wissenschaftliche Forschung über das Grenzgebiet. Die Zukunft der Region in Szenarienform hat das Institut für ökologische Raumentwicklung zusammengestellt. Uwe Rada stellt die Szenarien vor und plädiert darüber hinaus für eine weitere Regionalisierung des Grenzgebiets.
Die Zukunft, auch im größer werdenden Europa, gehört der Jugend. Was aber denken Schülerinnen und Schüler in einer Region, die man getrost als Provinz bezeichnen kann? Kasia Szełemej hat vier Schüler aus Görlitz und Zgorzelec porträtiert, um diesen Fragen auf die Spur zu kommen.
Alle Projekte und Wünsche freilich sind nur gut, solange die Wirtschaft brummt. Nick Reimer hat deshalb einen deutschen und einen polnischen Unternehmer besucht und festgestellt: Es hat nicht geklappt mit der Zusammenarbeit. Aber mit der Osterweiterung der EU, so hofft, man wird alles besser.
Wird alles besser? Sehen Sie selbst. Begleiten Sie uns auf der Reise ins Zweistromland. JÖRN KABISCH