: Grottian fahndet nach Motiv
FU-Politologe fordert polizeiunabhängige Untersuchung. Er will wissen, wer warum am 1. Mai Steine schmeißt. Grüne: Ursachen längst bekannt, es mangelt an Umsetzung der Lösungsvorschläge
von PLUTONIA PLARRE
Auf einmal sind sie in aller Munde, die Gangs der türkischen und arabischen Jungmachos, die am 1. Mai in Gruppen bis zu 200 Mann marodierend durch Kreuzberg zogen. „Was sind das für Menschen? Wie leben sie? Warum sind sie so militant?“, fragt der Politikprofessor Peter Grottian und meint damit neben Jugendlichen mit Migrationshintergrund auch gebürtige Deutsche: „Keiner weiß etwas über sie.“ Grottians Fazit: Eine unabhängige Untersuchungskommission muss her, die diesen Fragen auf den Grund geht.
Nicht Professoren, sondern Fachleute von der Basis sollten in Gesprächen mit überführten Randalierern Motivforschung betreiben. Er selbst, so Grottian, habe unter den Steinewerfern ganz verschiedene Menschen getroffen – von Gymnasiasten bis hin zu Leuten aus autonomen Subkulturen. Die Krawalle auf soziale Verwahrlosung zurückzuführen sei daher „kurzschlüssig“.
Die gewalttätigen Migrantenkids waren bereits am Montag im parlamentarischen Innenausschuss Thema. Einen Teil dieser Leute erreiche man auch durch das schönste Rockkonzert nicht, hatte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) konzediert. Das Problem könne nicht der Polizei überlassen bleiben, sondern sei eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, so der Senator. Im Gegensatz zu dem CDU-Innenpolitiker Frank Henkel, der seinen Lieblingsspruch von der „importierten Kriminalität“ bemühte, trug der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, ganz entschieden zur Versachlichung der Debatte bei: Dass die Gangs der Migrantenkids beim 1. Mai mitmischten, sei altbekannt. Neu sei, dass die „Jungtürken-Szene“ getrennt vom übrigen Demonstrationsgeschehen durch die Straßen gefegt sei und regelrecht die Polizei gesucht habe. Ein in einer Seitenstraße geparkter Polizeikonvoi aus Niedersachsen war, wie berichtet, von einem Steinhagel vollkommen überrascht worden.
Um eigene Schlussfolgerungen zu ziehen, wird die Polizei in den kommenden Wochen zu ermitteln versuchen, wie viele Migrantenkids sich unter den 196 Festgenommen befunden haben. In der Gefangenensammelstelle wird nur die Nationalität im Pass registriert, und die war in 171 Fällen deutsch.
Grottians Forderung nach einer unabhängigen Untersuchungskommission stößt bei Wieland auf verhaltene Zustimmung. Eine aktuelle Expertise könne hilfreich sein, nachdem das Phänomen letztmalig 1994 von der Landeskommission gegen Gewalt untersucht worden sei, sagt Wieland. Er selbst wisse aber auch so, dass der Dreh- und Angelpunkt die mangelnde Integration sei. Die Streichungen im Bildungs- und Sozialbereich sowie in der Arbeitsförderung würden die Lage weiter verschlimmern. Nicht mangelnde Erkenntnis sei das Problem, sondern dass die vielen positiven Vorschläge der Landeskommission gegen Gewalt nie umgesetzt worden seien.
„Jugendgewalt kommt und geht“, wendet sich Wieland direkt an Grottian. Zu 95 Prozent sei das Problem mit dem Älterwerden erledigt. Auch die Gangs gebe es in Berlin schon lange, erinnert Wieland an die türkischen „36 Boys“, die sich in den 80er-Jahren in Kreuzberg gründeten. Die Gangs fielen nur nicht so auf, weil sie normalerweise in den heimischen Kiezen ihr Unwesen trieben: „Man wird sie nicht am 1. Mai bekämpfen können, sondern in ihrem Alltag“, steht für den grünen Innenpolitiker fest.