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Archiv-Artikel

„Linkspopulismus wäre keine schlechte Idee“, sagt Franz Walter

Die SPD könnte gewinnen – wenn sie wüsste, was sie will. Und die Union liebäugelt mit der Idee, ohne FDP zu regieren

taz: Die Union hat die Bundestagswahl in den Großstädten verloren. Was bedeutet der CDU-Sieg in Hamburg? Ist das ein Modell – oder die Ausnahme?

Franz Walter: Es ist bestimmt kein einfach übertragbares Modell. In Hamburg haben zuvor, wie auch in Den Haag und Wien, die Rechtspopulisten Wähler von Bürgerlichen und Sozialdemokraten abgezogen. Dann gab es eine Koalition von Bürgerlichen und Rechtspopulisten, in der die Rechtspopulisten versagt haben. In Hamburg sind die Schill-Wähler, die zuvor zum SPD-Milieu zählten, nun zur CDU gegangen. Das – weniger ihre Attraktivität für moderne, urbane Schichten – ist der Kern des Sieges der CDU. Die Christdemokraten haben den rechtspopulistischen Zwischenwirt gebraucht, um Ex-SPD-Wähler einzusammeln.

Also ist dieser CDU-Sieg nicht verallgemeinerbar?

Nein. Der Sieg von Beusts hat etwas Diffuses. Was sagt er? Dass die Reformen rascher vorangehen sollen? Dass es ruhig mehr Härten geben soll? Oder weniger? Das ist so unklar wie es die Signale von Beusts waren.

Und was sagt die Hamburg-Wahl der SPD?

Die SPD sollte überlegen, ob der Populismus immer von rechts kommen muss. Es kann auch einen legitimen, republikanischen Linkspopulismus geben.

Davon ist die SPD derzeit weit entfernt: Schröder verkündet gebetsmühlenhaft, dass die Reformen weitergehen. Kann die SPD noch etwas tun?

Sie könnte. Das Unionsprogramm hat, wie Umfragen zeigen, keine Mehrheit. Aber es gibt keinen in der SPD, der dieses Unbehagen zuspitzt und politisiert.

Das würde der SPD helfen?

Ja. Nehmen Sie die Vermögen- und Erbschaftsteuer. Bei den SPD-Anhängern sind 80 Prozent dafür, bei den Unionsanhängern sind 50 Prozent dafür, 50 dagegen. Eine ideale Situation: Die SPD könnte ihre Anhänger mobilisieren und jene des Gegners spalten. Aber die Partei macht nichts daraus.

Warum nicht?

Es gibt ein paar objektive Schwierigkeiten. Das Verfassungsgericht kann Einwände haben, der Bundesrat stimmt nicht zu. Dass der Kanzler davon die Finger lässt, ist einzusehen. Der Fehler ist, dass die Partei, die ja kein bloßes Anhängsel des Kanzlers sein kann, dieses Thema nicht politisiert. Das liegt offenbar daran, dass Schröder alle, die so etwas artikulieren könnten, weggedrückt hat.

Aber Schröders Rücktritt als SPD-Chef und Münteferings Aufstieg ist, zumindest symbolisch, der Versuch, die Partei wieder in ihr Recht zu setzen. Wird er funktionieren?

Müntefering kann die SPD nach innen stabilisieren. Er ist kein Rhetoriker, kein Tribun. Aber er kann das Standbein der Partei sein. Was fehlt, ist das Schwungbein, jemand mit Elan und Verve …

jemand wie Lafontaine …

… oder Sigmar Gabriel. Man mag von ihm halten, was man will. Aber er hat, bei aller Sprunghaftigkeit, ein Gespür für Themen. Die Union hat ein weites Spektrum von Stoiber bis Beust. Das braucht die SPD auch.

Mit Gabriel als linkspopulistischem Tribun? Wirklich?

Seine Parole „mit einem Prozent mehr Vermögensteuer für hundert Prozent mehr Bildung“ war ja nicht dumm. Leider galt sie nur eine paar Stunden. Dann hat Schröder sie eliminiert.

Welches Strukturproblem steckt denn hinter der SPD-Krise? Dass die Partei sich der Fraktion untergeordnet hat und die Fraktion der Regierung?

Nein. Das Problem hat seit 1949 jede Regierungspartei. Das zentrale Problem der SPD ist, dass sie nicht weiß, was sie will. Die SPD vertritt seit einem Jahr eine politische Philosophie, gegen die sie 140 Jahre lang agiert hat. Für die SPD war der Sozialstaat immer Quell von Gerechtigkeit und Emanzipation – nun gilt er plötzlich als verkrustet und wachstumshemmend, und die Agenda 2010 als angeblich alternativlos. Die SPD ist in einem Zustand heilloser Verwirrung. Das ist der Kern ihrer Krise.

Die Union scheint, gestärkt durch Hamburg, Schäuble zum Bundespräsidenten machen zu wollen. Die FDP sperrt sich. Wird sie klein beigeben?

Wahrscheinlich. Sie hat wenig Möglichkeiten, die Union zu erpressen. Sie ist in einer ähnlich trostlosen Lage wie die SPD. Die FDP hat ja eine Menge ausprobiert: Sie war Programmpartei, dann Protest- und Spaßpartei. Gezündet hat das alles nicht. Jetzt will sie wieder Vernunft- und Funktionspartei sein wie früher. Daher die Ratlosigkeit. Jetzt scheint nur noch übrig zu sein, dass die Union sie im Gepäck mitnimmt.

Ist Schäuble auch das Signal der Union an die FDP: Wir brauchen euch womöglich nicht mehr?

Vielleicht. Das hat Hamburg ja gezeigt. Die CDU hat erfolgreich auf eine eigene Mehrheit ohne FDP spekuliert. Das könnte auch bundesweit eine Möglichkeit werden – falls es mit der SPD weiter bergab geht und die FDP sich widerspenstig anstellt. Das wäre die Wiederbelebung der Strauß-Strategie von 1982.

Also eine eigene Unions-Mehrheit?

Ja. Kohl hat 1982 auf die Koalition gesetzt und bei der Wahl Leihstimmen für die FDP organisiert, Strauß wollte eine eigene Mehrheit. Falls die Union Schäuble nominiert, wäre das eine doppelte Abkehr von Kohl. Denn Kohl hat die FDP stets pfleglich behandelt und jeden Affront vermieden. Die Nominierung von Schäuble wäre, so paradox es klingt, eine sichtbare Abwendung der Union von der alten Kohl-Partei.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE