DREI STADTSTAATEN UND DREI POPULÄRE BÜRGERMEISTER
: Bürgernähe überwiegt Sachpolitik

Das Ansehen der politischen Klasse ist auf dem Tiefpunkt? Wahlen werden in immer stärkerem Maße als Instrument der Abstrafung und nicht etwa als Zeichen der Zustimmung genutzt? Der strahlende Sieger von Hamburg scheint diese Thesen zu widerlegen. Gewiss hat der desolate Zustand der SPD zum Ergebnis beigetragen, aber in der Hansestadt fand eben auch eine Personenwahl statt. Die Bevölkerung hat Ole von Beust ihr Vertrauen ausgesprochen. Die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen, weisen über Hamburg hinaus.

Drei Stadtstaaten gibt es in der Bundesrepublik, und alle drei werden von sehr populären Bürgermeistern regiert, die zugleich Landesfürsten sind. Dabei scheinen doch die Unterschiede zwischen ihnen groß zu sein: Klaus Wowereit steht in Berlin einem rot-roten Kabinett vor, Henning Scherf führt in Bremen eine große Koalition, und Ole von Beust wird für seinen CDU-Senat nun gar keine Partnerin mehr brauchen. Wenn es dennoch alle schaffen, trotz schwieriger Zeiten von der Bevölkerung einfach gemocht zu werden, dann müssen sie mehr Gemeinsamkeiten haben, als die Parteienkonstellationen verraten.

Die gibt es. Alle haben ihr Leben in der Stadt verbracht, die sie nun regieren. Das ist kein folkloristisches Element, sondern hat konkrete Auswirkungen: Man glaubt ihnen, dass sie wissen, wovon sie reden, und dass sie die Lebensverhältnisse ihrer Wählerinnen und Wähler kennen. Genau das nimmt ein wachsender Teil der Bevölkerung vielen Politikern auf Bundesebene nicht mehr ab. Der Vorwurf, dass „die da oben“ keine Ahnung von der Realität haben, wird nicht nur gegen die Bundesregierung, sondern auch gegen die Opposition erhoben. In vielen Fällen ist er offenkundig berechtigt.

Dass Sympathie nicht mit Kritiklosigkeit gleichzusetzen ist, beweisen die Proteste gegen die Sparmaßnahmen in Berlin ebenso wie die Ablehnung der Krankenhausprivatisierungen in Hamburg. Aber Bürgernähe zählt derzeit offenbar mehr als Meinungsverschiedenheiten in der Sache. Für die jeweilige Opposition ist das bitter: Eine Regierung, ob in Bund oder Land, hat es in dieser Hinsicht leichter, weil ihr Handlungsspielraum größer ist. Sie muss ihn aber auch nutzen. BETTINA GAUS