: Hannover ist nicht Oggersheim
Eine Postler-Demonstration vor dem Kanzler-Haus und die Folgen: Die Polizei denkt darüber nach, das Versammlungsrecht um Schröders Domizil in Hannover einzuengen. Die Postler finden, die Blätter des Madsack-Verlags berichten nicht objektiv
Aus Hannover Kai Schöneberg
Die Gewerkschaften und der Kanzler – eine agendatechnisch derzeit leicht angespannte Beziehung. Umso schöner, dass doch noch ein direkter Draht zwischen Verdi-Chef-Frank Frank Bsirske und Gerhard Schröder zu bestehen scheint. Not amused über 3.000 Post-Protestler in Sichtweite ihres Hauses in Hannovers Zoo-Viertel hatte Kanzler-Gattin Doris Schröder-Köpf am Montag offensichtlich das Berliner Büro ihres Mannes alarmiert. Das Kanzleramt rief wiederum bei der ver.di-Zentrale in Berlin an, die sich postwendend beim Demo-Organisator von ver.di in Hannover, Hans-Uwe Behrens, meldete. „Die dachten, wir würden bei Schröders im Garten stehen“, wundert sich Behrens. Dabei hätten die Demonstranten mit 200 Metern „angemessenen“ Abstand gehalten. Auch bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) beschwerte sich die Kanzler-Gattin, andere Zeitungen stiegen ein. Aus der eigentlich lauwarmen Story „Post-Protest erzürnt Kanzler-Gattin“ ist inzwischen ein handfester Krach über die Grenzen des Versammlungsrechts in Kanzlernähe geworden – und über die journalistische Unabhängigkeit der zum Madsack gehörenden Blätter HAZ und Neue Presse (NP).
Eigentlich war es eine friedlich-fröhliche Demo: Die Zusteller waren nach einer Betriebsversammlung im nahen Congress Centrum Richtung Kanzler-Domizil marschiert, um hier mit Trillerpfeifen und Transparenten gegen Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu protestieren. Ihre Forderung: Der Bund als Mehrheitsbesitzer des Logistik-Konzerns dürfe nicht zulassen, dass die mit Milliardengewinnen arbeitende Post bei ihren Beschäftigten gleiche Kürzungen wie bei den Bundes-Beamten durchdrücke. Die Postler hätten genau gewusst, dass der Gerd gar nicht zu Hause ist, sagte Schröder-Köpf zur HAZ. „Was wollen die von meiner Tochter und mir?“, fragte sie weiter. Und: Das hätte es „bei Helmut Kohl in Oggersheim nicht gegeben“. Das sieht wohl auch Hannovers Polizei-Präsident Hans-Dieter Klosa so. Der Demo-Ablauf sei „nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt“ gewesen, sagte Klosa zur Madsack-Zeitung NP. Und: „Es wurde eine Verstärkeranlage eingesetzt, die über das erforderliche Maß hinausging.“ Bei künftigen Demos werde er das Kanzler-Haus weiträumiger abgesperrt, damit „akustische Störungen“ unterbleiben.
„Völlig wahrheitswidrig“ seien die Vorwürfe, ärgert sich ver.di-Sprecher Ulf Birch. Die Postler hätten sich genau an die Vorgaben der Polizei gehalten. Birch: „Ich bin gespannt, mit welchen Befugnissen der Polizeipräsident eine Bannmeile um das Kanzler-Haus einrichten will“. Die Gewerkschaft prüft derzeit sogar, ob sie Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Klosa einlegen will. Unmut regt sich bei ver.dianern wie Postlern auch über den Madsack-Verlag, dessen Blätter gestern erneut in großer Aufmachung über den Doris-Protest berichteten. „Familien und vor allem Kinder sollten in unser aller Interesse aus dem politischen Meinungskampf herausgehalten werden“, fand so Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Die Postler hingegen finden die Berichterstattung einseitig. Ob es um die Schließung von Postfilialen, um den Abbau von Briefkästen oder eben um die Kanzler-Gattin gehe: Es sei schon „auffällig“, wie schlecht die Post bei den Madsack-Blättern abschneidet, findet ver.di-Sprecher Birch. Der Hintergrund: Madsack betreibt eine regionale Konkurrenz-Firma der Post, die Citipost. Im Vergleich zum Global Player fuhr die Citipost im vergangenen Jahr nur bescheidene 9,7 Millionen Euro Umsatz ein. Dennoch fürchten viele Postler, dass die „negative Madsack-Meinungsmache“ versteckte Werbung für die Citipost sei – und so ihre Jobs bedrohe. „Dummes Zeug“, sagt Madsack-Geschäftsführer Friedhelm Haak. Der Verlag mische sich „grundsätzlich nicht in journalistische Angelegenheiten ein“, die Redaktionen seien „in ihrer Berichterstattung völlig frei“. Das überzeugt einige Postler nicht: Konzertiert wollen sie jetzt HAZ- und NP-Abos kündigen.