Urteil mit Dimension

Nachdem das Bundesverfassungsgericht den „Großen Lauschangriff“ gekippt hat, muss auch in Hamburg umgedacht werden. Kritiker fordern Änderung der bisherigen Abhörpraxis, Polizei und Innenbehörde bleiben vorerst gelassen

von Kai von Appen

Hamburg muss die Rechte für die Polizei neu ordnen. Die bisherige Auslegung von Befugnissen ist verfassungswidrig: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG), ist der so genannte „Große Lauschangriff“ zumindest in den Anwendungsgesetzen – Strafprozessordnung, Verfassungsschutz- und Polizeigesetze – verfassungswidrig. Somit müssen nun auch das dem Bundesrecht angepasste Polizeigesetz zur Datenverarbeitung sowie das Verfassungsschutzgesetz in Hamburg total überarbeitet werden.

Der rechtspolitische Sprecher der GAL-Bürgerschaftsfraktion und Vorsitzende des Kontrollgremiums der Bürgerschaft (G 10) für die Wohnraum-Überwachung, Christian Maaß, fordert die sofortige Änderung der polizeilichen Abhörpraxis: „Der Schutz der Menschenwürde als höchstes Rechtsgut verlangt die Einhaltung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts“, beklagt Maaß. „Nur bei schwersten Delikten darf überhaupt die Wohnung eines Verdächtigen überwacht werden und während der Überwachung muss der Kernbereich der persönlichen und intimen Vorgänge in Privatwohnungen unangetastet bleiben.“

„Land auf Land ab besteht die Aufgabe, die Ländergesetze zu korrigieren“, sagt der Hamburger Anwalt Christian Busold, Innenreferent des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele. „Es wird Auswirkungen auf alle nachrichtendienstlichen Methoden geben.“ Und gerade hier hatte der Rechtssenat mit dem Verfassungsschutzgesetz im Dezember 2002 für die staatlichen Schnüffler ein neues Fass aufgemacht: Nun durfte auch präventiv gelauscht werden. „Das muss alles völlig überarbeitet werden, und nicht nur beim Großen Lauschangriff, sondern bei allen Maßnahmen der verdeckten Ermittlungen wie auch Telefonüberwachungen“, sagt Busold. „Gibt es kein verdächtiges Wort, sind die Mikrophone abzustellen.“

Bei der Polizei in Hamburg gibt man sich nach dem BVG-Urteil gelassen und bedeckt. „Mit den Einzelheiten des Urteils befasst sich unsere Rechtsabteilung“, sagt Sprecher Reinhard Fallak. Er sieht keinen Grund zum sofortigen Handeln oder dafür, laufende Abhör-Operationen zu stoppen. „Es gibt ja bundesweit nur ganz wenige Maßnahmen – auch in Hamburg. Im Zweifelsfall greift ja dann das Verwertungsverbot.“

Dass es Konsequenzen nach genauer Prüfung des Urteils geben wird, vermag Marco Haase, Sprecher der Innenbehörde nicht zu leugnen „Die praktische und taktische Arbeit der Polizei wird nicht einfacher.“ Doch es herrscht keine Untergangsstimmung: Die vier jüngsten Abhörfälle der Vergangenheit – Mord, Rauschgift und Geldwäsche – seien durch das BVG-Urteil abgedeckt gewesen. Was das Urteil an Veränderungen im Polizeigesetzen und für die Richtlinien des Verfassungsschutz erforderlich machen, da müsse man, so Haase, „in Ruhe gucken, wenn das Urteil schriftlich vorliegt“.

Für den Sprecher der kritischen Polizisten und Hamburger Kriminalisten Thomas Wüppesahl hat der Richterspruch Brisanz: „Das Urteil hat die Dimension wie das Volkszählungsurteil“, schätzt Wüppesahl. „Sechs Jahre verfassungswidrige Abhörpraxis – die aktuellen Operationen müssen sofort abgebrochen werden!“