: Take a Look at the Wild Side
Wilde Parkplätze sind eine Zeitreise in die Vergangenheit – als es noch viel Platz gab, wenig Autos und selbst die Grünen „Parkraumbewirtschaftung“ noch nicht richtig buchstabieren konnten. Doch wie jedes Stückchen Glück ist auch dieses flüchtig
VON UWE RADA
Es gibt sie noch, die Momente des Glücks in dieser Stadt. Frühmorgens zum Beispiel, wenn du mit dem Auto zur Arbeit fährst. In Gedanken versunken und wie immer etwas zu spät schaukelst du über die Schlaglöcher der Leipziger Straße und überlegst, ob du deinen Clio auf einen Bezahlparkplatz stellst oder weiterfährst bis zur SPD-Zentrale, wo die Parkplätze zwar nix kosten, aber auch Mangelware sind. Und dann das: Wo früher die Budenbesitzer am Checkpoint Charlie den Touristen das Geld aus der Tasche zogen, ist plötzlich Platz. Parkplatz. Wilder Parkplatz. So schön kann Berlin sein.
Checkpoint Charlie ist kein Checkpoint mehr, sondern freie Wildbahn. Das war schon einmal so – damals, als das American Business Center erst auf dem Papier existierte und vom neuen Berlin noch nicht viel mehr stand als ein paar Bautafeln. Als selbst die Grünen noch nicht wussten, wie man „Parkraumbewirtschaftung“ buchstabiert oder „Modal Split“. Als der urbane Glücksritter seine Pferdestärken noch parken konnte, wo er wollte. Zum Beispiel auf den Brachflächen am Checkpoint Charlie.
Nun stehen sie wieder da und die Dummen auf der Zimmerstraße. Brav schlappen sie zum Parkautomaten und versenken ihre Münzen wie die Bankgesellschaft die Millionen – im Nichts. Wissen sie nicht, dass sie um die Ecke umsonst dürfen? Ist Ihnen das Abgabeabdrücken in Fleisch und Blut übergegangen? Lauter Münzeferings mit Lust auf Agenda 80:20 (so wird man bald den Modal Split nennen)? Immerhin, es bewegt sich was. Auf dem wilden Parkplatz wird der Platz knapp, auf dem Parkraumbewirtschaftungsplatz klaffen Lücken.
Es ist wie eine Zeitreise. Das war auch schon auf dem wilden Parkplatz auf der Prenzlauer Allee so. Plötzlich war „Norma“ weg, einfach so, von einem Tag auf den anderen. Während die Vietnamesen noch überlegten, wo sie ihre Zigaretten bunkern, haben die Wildparker den Platz in Beschlag genommen. Hunderte Autos parkten nun, wo früher Dosenbier über den Normatisch ging. Das war fast wie früher, als es noch kein Norma gab, dafür aber Parkplätze. Als noch nicht die protzigen Benze die Straßen verstopften oder diese blöden Smarts, die immer so tun, als wäre da eine Parklücke, und plötzlich stehen sie selbst drin. Zum Umkippen!
Mit dem wilden Parkplatz war alles anders. Bloß dass er eines Tages wieder geschlossen wurde. „Bitte entfernen Sie Ihren Pkw bis Montag, neun Uhr. Danach wird abgeschleppt.“ Unübersehbar stand das am Eingang. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Seitdem ist der gefühlte Parkplatzmangel noch größer. All die Wildparker sind nun Konkurrenten. Es wird langsam eng am Prenzlauer Berg.
Am Checkpoint Charlie wird das anders. Die Polizei hat es gesagt, ich habe es gehört. Bevor da irgendein Privatbesitzer abschleppen kann, muss er erst seiner Begrenzungspflicht nachkommen. Auf Deutsch: Der wilde Parkplatz will gezähmt werden und braucht einen Zaun! Hat der Platz seinen Zaun, braucht der Zaun seinen Zettel: Wir fordern Sie auf, und so. Dann kommt die Polizei, doch hoppla, die lässt zwar abschleppen, stellt die Rechnung aber nicht dem verschleppten Wildparker aus, sondern dem Grundstücksbesitzer. Der wiederum darf dann versuchen, sein Geld vom Wildparker zu bekommen. Hört sich kompliziert an, fast wie früher.
Aber natürlich hat auch ein Wildparker natürliche Feinde. Wenn nicht bei der Polizei, dann bei den Grünen. Der Hauptfeind der Autofahrer, der grüne Abgeordnete Michael Cramer, will deshalb die Parkraumbewirtschaftung so teuer machen, dass alle auf die BVG umsteigen. Doch auch ein natürlicher Feind stößt manchmal an seine Grenzen. Wilde Parkplätze tauchen in den Anfragen, die Cramer regelmäßig an den Verkehrssenator schreibt, nicht auf.
Das Gleiche gilt für die Hüter der Parkraumbewirtschaftung. Niemand wollte im Bezirksamt Mitte Auskunft geben, wie groß der Umsatzeinbruch wegen Wildparkens ist. Wahrscheinlich will keiner zur Nachahmung auffordern, vielleicht hoffen sie noch alle auf die Münzeferings, die nach wie vor blindlings zum Automaten trotten.
Inzwischen stehen auch die Devotionalienhändler mit ihren Pkws auf dem wilden Parkplatz. Bald werden sie aus dem Kofferraum verkaufen, wenn noch mehr Touristen kommen, die gehört haben, dass man mitten auf dem Checkpoint Charlie parken kann, und zwar kostenlos. So eignet sich die Stadt wieder an, was ihr genommen wurde: Platz. Parkplatz.
Es gibt sie noch, die Glücksmomente in dieser Stadt. Nur Pech darf man nicht haben. Wenn dich auf dem wilden Parkplatz einer von den Smarts mit seiner Rotznase stupst, sagt dir die Polizei: Sorry, Privatgelände. Selbst der Hinweis „Hier gelten die Regeln der StVo“ fehlt. Alles Chaos und Anarchie. Das ärgert den Glücksritter und freut die Grünen.