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Archiv-Artikel

Eine „europäische Krankheit“

betr.: „Früchte des Wahns“ (Die Israelfeindschaft der arabisch-islamischen Welt gilt vielen als triftig. Was aber hat der Judenhass wirklich mit der Politik Israels zu tun?) von Matthias Küntzel, taz Magazin vom 21. 2. 04

Als Entwicklungshelfer, der zwar kein Politikwissenschaftler ist, aber immerhin vier Jahre (1999 bis 2003) in Palästina gelebt, gearbeitet und manchmal auch gelitten hat, möchte ich mir einige Anmerkungen erlauben:

Herr Küntzels „Früchte des Wahns“ mag in punkto Jahreszahlen und historische Fakten einwandfrei sein, er klammert aber einige wesentliche Punkte aus. Ich habe in der Tat Palästinenser erlebt, die den Holocaust verleugnen oder zumindest die Zahl von sechs Millionen getöteter Juden anzweifeln. Wer von denen „Die Protokolle der Weisen von Zion“ gelesen hat, vermag ich nicht zu sagen. Immer wieder hat sich mir aber die Frage aufgedrängt: Nähren sich die Zweifel und Skepsis der Menschen vielleicht an der aktuellen israelischen Politik? Ziehen die Palästinenser aus dem Verhalten von israelischen Regierungen – die viele als Politik der Vertrauen zerstörenden Maßnahmen, der leeren Versprechungen und Lügen erleben – Rückschlüsse auf den Holocaust?

Wie kommt Herr Küntzel dazu, zu behaupten, der Antisemitismus habe die Zuspitzung des Nahostkonflikts bewirkt? Vergeblich suche ich in seinem Artikel eine Untermauerung dieser gewagten These. Kleine Frage: Haben Juden in der arabischen Welt Pogrome durchmachen müssen, wie sie in Europa gang und gäbe waren? Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel hat erst jüngst gesagt, dass es Antisemitismus immer und überall gegeben habe. Als eine zusammenhängende Bewegung sei er jedoch eine „europäische Krankheit“.

Stark wertend ist auch seine Aussage, dass es zu Beginn des Jahrhunderts eine „gnadenlose Herrschaft der Religion“ gegeben habe. Welche meint er da? Den Islam? Das Christentum? Und wie kann man „Gnadenlosigkeit“ messen? […] Meine vier Jahre haben mich mehr radikale Israelis erleben lassen, mehr „Araberhasser“ als „Judenhasser“. „Früchte des Wahns“ – wie zutreffend für die Siedler, denen ich auf palästinensischem Land gegenüberstand, sich auf die Bibel und die Auserwähltheit berufend, beschützt von Polizei und Militär in ihrem Versuch, Land zu beschlagnahmen. Hat Küntzel, wenn er im Titel von der Israelfeindschaft der arabisch-islamischen Welt spricht, die sensationelle saudische Friedensinitiative ganz vergessen, die in israelischen Regierungskreisen niemand so recht hören wollte? Hätte man sie gehört, man wäre dem Frieden nicht nur einen Schritt näher gekommen. […] Ich habe „Judenhass“ unter den Palästinensern selten erlebt, aber fast immer eine große Israelskepsis. Kann man es den Menschen verdenken, denen es seit Beginn des so genannten Friedensprozesses paradoxerweise immer schlechter geht? JOHANNES ZANG, Goldbach