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Archiv-Artikel

Die Welt kreolisiert sich

Ein Interview mit Dorothea Reinicke, einer der künstlerischen Leiterinnen des internationalen Young Performers‘ Festival „Play Mas“, das am Sonnabend auf Kampnagel beginnt

von Doro Wiese

taz hamburg: Im Zentrum des ,Play Mas‘-Festivals stehen junge PerformerInnen, die aus den ,Peripherien‘ der Welt kommen.

Dorothea Reinicke: Für uns haben Menschen, die an den Rand definiert werden, wichtige künstlerische Aussagen zu machen, wie ich es in der Zusammenarbeit mit der Performance-Theatergruppe Hajusom selbst erfahren durfte.

Mit Hajusom arbeiten Sie seit 1999. Hat sich etwas in der Zusammenarbeit geändert?

Es gab eine Entwicklung in der Geschichte von Hajusom. Die Initiatorinnen des Projekts – Claude Jansen, Ella Huck und ich – kommen alle aus dem Kunstbereich. Dann schlug uns die Leiterin einer Erstversorgungseinrichtung vor, unsere Arbeit doch mit minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen zu machen. Und weil wir sehr schockiert von den Ausnahmesituationen der Jugendlichen waren, waren unsere ersten Stücke sehr nah an deren Fremdsein in Deutschland, den Fluchtgeschichten, Szenen aus der Heimat. Nach Sieben Leben kam von den Jugendlichen aber der Wunsch, Theater zu spielen, um nicht nur als Flüchtlinge gesehen zu werden. So haben wir uns mit Die Kinder der Regenmacher für episches Theater entschieden, in dem Szenen gebrochen und kommentiert werden.

Warum ist die Darstellungsform Performance das einigende Band des Play Mas-Festivals?

Wichtig ist für uns, dass die PerformerInnen sich und ihre Zusammenhänge präsentieren und keine Rollen spielen. Zudem kann man in der Performance jenseits sprachlicher Hürden gemeinsam eine eigene Sprache finden. Trotzdem haben die einzelnen Projekte unterschiedliche Formen der Performance. Crear vale la pena aus Buenos Aires sind dem Tanz zugewandt, kontextualisieren aber ihre Arbeit mithilfe von Videoscreens und gesprochenen Passagen. Das M.U.K.A.-Projekt aus Südafrika macht ,Agit-Prop‘-Theater und beschäftigt sich mit der HIV-Aufklärung. Und die Jugendlichen von Cybermohalla aus Delhi erzählen Geschichten aus ihrem Alltag und arbeiten gleichzeitig mit Videos und Soundscapes.

Am Schluss des Festivals steht eine gemeinsame Performance, ein kreolisierender Karneval. Was soll dort passieren?

Die inhaltliche Klammer des Workshops ist ein Konzept von Edouard Glissant: Die ganze Welt kreolisiert sich. Das ist ein Bild für einen Prozess, den wir bei Hajusom seit mehreren Jahren erleben. Leute, die aus verschiedenen Kulturen kommen, nähern sich an und beginnen zu vermischen, was sie mitgebracht haben, was sie hier vorfinden und was sie von ihren KollegInnen bei Hajusom mitbekommen. Fortlaufend findet Vermittlung statt, und das ist mit der Metapher Kreolisierung gemeint. Der Begriff der Kreolisierung stellt sich gegen das Konzept der Globalisierung, der von ökonomischen Interessen geleiteten Grenzüberschreitung. Mit Kreolisierung ist die Vision eines offenen Miteinanders gemeint.

Ihr beschreibt mit Kreolisierung die Vorstellung, Begegnungen zu initiieren, an den Rand definierte Menschen ins Zentrum kommen zu lassen. Wo stößt sich diese Konzept an der Realität, etwa am Rassismus?

Sicher, die Menschen, mit denen wir arbeiten, sind Rassismus ausgesetzt, aber es gibt den Jugendlichen auch ein Empowerment, dass wir alle das Glück hatten, künstlerisch zusammenzukommen und Öffentlichkeit zu haben. Wenn Leute von Abschiebung bedroht sind, haben wir mittlerweile andere Einspruchsmöglichkeiten. Wir können sogar zu Gastspielen fahren, trotz der Residenzpflicht von AsylbewerberInnen. Und es existiert eine große Öffentlichkeit für das ,Play Mas‘-Projekt. Das gibt uns allen enorme Kraft.

Play Mas: 6.–14.3., Kampnagel