: Präsidentin oder Präsident?
Was für eine Überraschung. Während Christdemokraten und Liberale gestern Morgen noch damit beschäftigt waren, auf die Fragen zu antworten, wer eigentlich Horst Köhler sei, machte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Nägel mit Köpfen. Nach einem Telefonat am Abend zuvor nominierte er die derzeit in Harvard weilende Präsidentin der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder) als rot-grüne Gegenkandidatin für das Amt der Bundespräsidentin.
Um die nötige Bekanntheit wird sich Schröders Kandidatin keine Sorgen machen müssen. Anders als bei Horst Köhler gilt bei Gesine Schwan: Wer diese Frau nicht kennt, der wird sie noch kennen lernen. Die eloquente wie charmante Politikwissenschaftlerin ist alles, nur keine Frau ohne Eigenschaften. Einige davon hatte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer schon parat: Gesine Schwan stehe für ein „modernes und europäisches Deutschland“. Sie sei eine hoch renommierte Wissenschaftlerin mit guten Kontakten in die USA, sei aber auch mit der Situation in Ostdeutschland vertraut. Gerhard Schröder ergänzte: „Frau Schwan ist eine wichtige Kämpferin für die deutsch-polnische Versöhnung.“
Bei so vielen Vorschusslorbeeren könnte fast in Vergessenheit geraten, dass die 60-Jährige in der Wahlversammlung der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai keine Mehrheit haben wird. Doch darum geht es wohl auch nicht. Schaut man auf das mediale Echo des letzten Bundespräsidentenwahlkampfs zwischen Johannes Rau und Dagmar Schipanski, weiß man, was Schröder meint, wenn er sagt: „Gesine Schwan ist keine Zählkandidatin.“ In den zahlreichen Talkshow-Auftritten, die der Dreimonatskandidatin bevorstehen, könnte ihr bald schon der Nimbus der „Bundespräsidentin der Herzen“ zukommen.
So viel ungeteilte Zustimmung war nicht immer. In den Siebziger- und Achtzigerjahren galt Gesine Schwan als rotes Tuch für viele Linke, nicht nur an der Freien Universität Berlin, sondern auch in der eigenen Partei, der SPD, der sie 1972 beigetreten war. Seinen Höhepunkt fand dieser innerparteiliche Konflikt in der Abwahl von Schwan aus der SPD-Grundwertekommission 1984. Zuvor hatte sich die Parteirechte für den Nato-Doppelbeschluss und gegen die SPD-Entspannungspolitik stark gemacht.
Diese Lust am Widerspruch hatte auch mit ihrer Biografie zu tun. Schwans Eltern hatten in den letzten Kriegsjahren eine Jüdin versteckt und ihre Tochter später „im Geist der Versöhnung“ erzogen, wie sie es selbst nennt. Gesine Schwan machte ihr Abitur am französischen Gymnasium und lernte nach ihrem Schulabschluss Polnisch. Diese Begegnung mit Polen war es auch, die sie bald schon in Widerspruch mit vielen ihren Mitstudenten brachte. Spätestens seit ihrer Promotion 1970 über den undogmatischen Philosophen Leszek Kołakowski und ihren zahlreichen Kontakten mit polnischen Oppositionellen galt Gesine Schwan als unverbesserliche Antikommunistin.
Heute kann sie darüber nur lachen. „Viele von denen, die mich damals kritisiert haben, sind inzwischen rechts an mir vorbeigezogen“, sagte sie noch im Sommer der taz. „In der Sozialpolitik bin ich nämlich alles andere als rechts.“ Nicht nur Horst Köhler muss sich in den nächsten Wochen warm anziehen, vielleicht auch Gerhard Schröder.
Wie Gesine Schwan, die Frau mit den etwas zu kurzen Röcken und der umso höheren Turmfrisur öffentlich agiert, lässt sich seit ihrer Wahl zur Präsidentin der Viadrina 1999 in Frankfurt (Oder) beobachten. Galten die ehemalige SED-Stadt und die Europauniversität jahrelang als unvereinbare Gegenpole, hat es Gesine Schwan geschafft, die Universität mit der Stadt, und die Stadt mit der Universität zu versöhnen. Beim Festumzug zum zehnjährigen Jubiläum der Viadrina jubelten ihr einige Frankfurter sogar zu.
Schwans Popularität, die sie auch bei ihren deutschen und den knapp 2.000 polnischen Studenten genießt, hat aber nicht nur mit ihrer Offenheit und Herzlichkeit zu tun, sondern auch ihrer Fähigkeit, strategisch, manche sagen dazu auch: visionär zu denken. Seit ihrem Amtsantritt sieht sie die Viadrina nicht nur im deutsch-polnischen, sondern im deutsch-polnisch-französischen Zusammenhang. Für die Gründung einer trinationalen Stiftungsuniversität steht nur noch die Zusage aus dem Kanzleramt aus.
So gesehen, ist die Wahl des Kanzlers in jedem Fall eine richtige. Als Bundespräsidentin würde Gesine Schwan wie keine andere für einen Dialog zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa stehen. Das Gleiche würde sie auch als Rektorin einer zukunftsweisenden europäischen Stiftungsuniversität tun. Der Zukunft der Viadrina, munkelt man jedenfalls in Frankfurt (Oder), wird diese Kandidatur nicht zum Schaden sein.
Und Horst Köhler? Christdemokraten und Liberale haben noch viel zu erklären.
UWE RADA
Es war ein geradezu präsidialer Auftritt: Am Montag verteilte Horst Köhler im Sertão, einem trockenen Landstrich im Südosten Brasiliens, bei einer Aktion des „Null-Hunger-Progamms“ Milch. Und der IWF-Vorsitzende versuchte, den Frauen in der Gemeinschaftsküche Hoffnung zu machen: „Das nächste Mal, wenn ich herkomme, werden Sie noch mehr lächeln als heute.“ Einen Bauern, der über hohe Zinsen und steigende Strompreise klagte, tröstete er: „Lösungen kommen nicht über Nacht. Sie sind ein stolzer Mann, bleiben Sie so.“
Doch ob den Leuten diese Worte in Erinnerung bleiben? Horst Köhler hat damit so seine Schwierigkeiten, dass ihn die Menschen im Kopf behalten. Schwäbisch-bodenständig kommt er daher mit seiner Lesebrille, auch als mitreißender Redner gilt er nicht. Blass wirkt der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) auch, wenn er neben seinem Kollegen von der Schwesterorganisation sitzt, dem weit charismatischeren James Wolfensohn. Der darf sich als Weltbank-Chef jetzt schon Präsident nennen. Köhler, der „Geschäftsführende Direktor“, soll es, wenn es nach CDU und FDP geht, erst noch werden.
Köhler ist die klassische zweite Wahl. Das war schon so, als die Bundesregierung einen deutschen Kandidaten für den IWF-Chefposten suchte. Kanzler Gerhard Schröder hatte eigentlich den SPD-Mann Caio Koch-Weser nach Washington schicken wollen. Doch die Nominierung des Finanzstaatssekretärs scheiterte am Widerstand der USA. Blieb Köhler – auch wenn er von der gegnerischen CDU kam. Der galt als erfahren auf dem internationalen Finanzparkett und eckte nicht an. Freundlich, diplomatisch, nichtssagend – so ist der Eindruck, den er hinterlässt.
Dennoch hat er einen guten Start hingelegt. Kurz nach seinem Amtsantritt bereiste er im Sommer 2000 Afrika. Diese Reise hat ihn, so sagt er selbst, geprägt. „Er suchte Kontakt, war zugänglich für Debatten und versuchte, den IWF in Richtung Armutsreduzierung zu orientieren“, erzählt Ann-Kathrin Schneider von der entwicklungspolitischen Organisation „Weed“.
Immerhin ist der IWF unter seiner Regie etwas offener geworden, lobt zum Beispiel Jürgen Kaiser von der Kampagne Erlassjahr. Köhler selbst versuchte immer wieder, die IWF-Kritiker für sich zu gewinnen. „Wir teilen viele Ihre Sorgen über Globalisierung“, sagte er zum Beispiel auf einer IWF-Tagung, als in Washington Demonstrationszüge aufmarschierten. Die Globalisierung müsse man so gestalten, „dass sie zum Nutzen aller ausfällt und nicht vorwiegend die Menschen in den reichen Ländern davon profitieren“. Die Umarmungstaktik verfing nicht. Ein „Süßholzraspler“, heißt es bei Attac: „Er verpackt die Politik des IWF verbal in Watte, aber wenn es darauf ankommt, exekutiert er knallharte neoliberale Maßnahmen“, urteilt dort Peter Wahl.
Die anfänglichen Hoffnungen der Nichtregierungsorganisationen, hier könnte einer das Ruder tatsächlich umlegen, wurden jedenfalls enttäuscht. „Er hat sich kein eigenes Profil erarbeitet und wenig durchgesetzt“, meint Schneider. In Sachen Schuldenerlass etwa tat sich unter seiner Ägide außer warmen Worten nicht viel. Im Gegenteil, hier „dreht der IWF momentan sogar mit buchhalterischen Tricks Entwicklungen zurück“, kritisiert Kaiser. Den vom IWF vorgeschlagenen Entschuldungsmechanismus für Entwicklungsländer konnte Köhler gegen die USA nicht durchsetzen.
Dabei hat der in Tübingen promovierte Volkswirt durchaus den Ruf, ein fleißiger, geschickter und bei Bedarf harter Verhandler zu sein, zum Beispiel als es um die Milliardenzahlungen für den Abzug der Roten Armee aus Ostdeutschland ging. Oder als der Maastricht-Vertrag über die europäische Währungsunion ausgehandelt wurde, den Köhler als deutscher Unterhändler maßgeblich mitgestaltete. Die andere Seite dieser Medaille ist sein Ruf, aufbrausend, ja geradezu jähzornig zu sein. Der IWF-Chefökonom Michael Mussa etwa kündigte entnervt über Köhlers Führungsstil.
Auf seine Sachkenntnis in Wirtschaftsfragen wurde früh der damalige schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg aufmerksam. Der holte Köhler zunächst nach Kiel und nahm in 1982 mit ins Finanzministerium nach Bonn mit. Dort stieg er unter Theo Waigel 1990 zum Staatssekretär auf. Ein Parteitier war er, der seit vier Jahrzehnten Mitglied der CDU ist, aber nie. Mit Altkanzler Helmut Schmidt, SPD, unterhielt er sich oft lieber über Wirtschaft als mit dem CDU-Kanzler Kohl. Für den bereitete er dafür als so genannter Sherpa die Weltwirtschaftsgipfel der G7 vor. 1993 wurde er Präsident des Sparkassenverbands, 1998 berief ihn dann Waigel an die Spitze der Osteuropabank, der er bis zu seinem Ruf nach Washington vorstand. Auch jetzt ruft man ihn. Dass er sich aufdrängen würde, das kann man Horst Köhler jedenfalls nicht vorwerfen.
NICOLA LIEBERT
MITARBEIT: GERHARD DILGER