gastkolumne: Freie Kultur in NRW : Die Zukunft ist rosig
Gestern hat der Theaterzwang begonnen, das Festival Freier Theater aus NRW. 26 Gruppen werden vorgestellt, ausgewählt aus 121, die sich mit 180 Produktionen beworben hatten. Das hört sich gut an! So viele Bewerbungen für ein „nur“ bundeslandweites Festival. Das lässt auf enorme Produktivität und Kreativität der hiesigen Szene schließen – trotz miserabler finanzieller Rahmenbedingungen – und den ungebremsten Drang, freie Theaterproduktionen auf den enger gewordenen Markt zu werfen.
Tatsächlich scheint der Innovationspool, aus dem immer wieder neue Produktionslabels auftauchen, unerschöpflich zu sein. Die vielbeschworene “Sinnkrise des Theaters“ tangiert die freien Theater nicht? Jedenfalls nicht mehr. Denn was da an Neuem entsteht und produziert wird, ist nicht mehr das kleine Abbild des großen Stadttheaterbetriebs, wie noch vor einigen Jahren, sondern hat wieder eine spezifische ästhetische und inhaltliche Qualität. Das freie Theater emanzipiert sich erneut zu einem politischen Theater, ohne zu den Agit-Prop- Anfängen der frühen siebziger Jahre zurückzukehren. Das war schon lange fällig. Denn die artifiziellen Selbstbespiegelungen, die „reine Kunstproduktion“, die viele Akteure der freien Theaterszene viele Jahre pflegten – aus heutiger Sicht ein fataler Irrweg, wurden allmählich langweilig, vertrieben das Publikum und ließen die Frage nach der Existenzberechtigung einer „alternativen Theaterstruktur“ immer lauter werden. Solche Stimmen sind inzwischen verstummt, zumindest öffentlich. Kein Politiker landauf, landab, der ein freies Theater schließen wollte, auch kein Kritiker übrigens. Selbst der Publikumsschwund ist gestoppt, ohne dass nun allenthalben volle Häuser gemeldet werden könnten. Wenn aber die freien Theaterensembles das Theater wieder zu einem Ort machen, an und in dem Theaterkunst gesellschaftliche Befindlichkeiten, Gegensätze, Auseinandersetzungen thematisiert, wird es auch beim jungen Publikum Interesse für Theater wecken, ohne die Hilfe von „Theaterpädagogen“ in Anspruch nehmen zu müssen. Die öffentliche Wahrnehmung der freien Theater ist gestiegen. Inzwischen interessieren sich auch einige Stadttheaterbetriebe für die Kollegen aus der freien Szene. Erste Kooperationen sind angebahnt, in Düsseldorf z.B. zwischen dem Schauspielhaus und dem Forum Freies Theater. Das Schauspiel Dortmund hat bereits die erste Ko-Produktion gespielt, eine kabarettistische Revue mit dem Ensemble des Alternativkarnevals Geierabend. Nicht unbedingt ein Paradebeispiel, es soll jedoch nicht ungenannt bleiben.
Aber die Zukunft des freien Theaters kann nur durch ein eigenes, unverwechselbares Profil gesichert werden, in bewusster und gewollter Abgrenzung zum etablierten Stadttheater. Festivals wie der Theaterzwang dienen dazu, dieses Profil deutlich zu machen. JOCHEN BROCKSTEDT
Der Autor ist Geschäftsführer des Landesbüros für Freie Kultur in Dortmund. Das Büro vergibt Mittel des Kulturministeriums an herausragende Projekte der Freien Szene.