: Die amtliche Sucht nach Kontrolle
Oberster Datenschützer stellt seinen Bericht für 2001/2002 vor: Die Behörden lauschen gern am Telefon und sammeln emsig DNA-Analysen. Wie viel dieser Eifer bei Ermittlungen bringt, weiß aber niemand. Datenschützer fordert „Erfolgskontrolle“
aus Berlin OTTO DIEDERICHS
Die Überwachung von Telefonanschlüssen ist auch 2002 deutlich gestiegen. Mit insgesamt 21.874 richterlichen Anordnungen (2001: 19.896) ist Deutschland beim Abhören von Telefongesprächen weiterhin Weltmeister. Seit 1995 habe sich die Zahl „fast verfünffacht“, kritisierte der scheidende Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob gestern bei der Vorstellung seines Datenschutzberichtes 2001/2002. Eine nachvollziehbare Erklärung gebe es dafür nicht.
Rund 80 Prozent der Lauschangriffe betreffen inzwischen Handy-Gespräche. Dabei sagt die Zahl der überwachten Anschlüsse noch nichts über die Zahl der tatsächlich belauschten Personen aus. „Kein Mensch weiß, wie viele Betroffene es gibt, keiner weiß, zu wie vielen Verurteilungen es gekommen ist“, sagte Jacob. Er habe den Verdacht, dass sich die Telefonüberwachung – ursprünglich als letztes Mittel gedacht – zur polizeilichen Standardmaßnahme entwickelt habe, „aber auch darüber gibt es keinerlei Informationen“.
Der oberste Datenschützer hofft auf ein Forschungsprojekt des Max-Planck-Institutes in Freiburg; die Ergebnisse erwartet er für Mitte des Jahres. Das Gutachten soll klären, inwieweit Telefonüberwachungen wirklich zu Erfolgen bei der Strafverfolgung führen. In allen Bundestagsfraktionen gebe es inzwischen „eine Stimmung für eine Erfolgskontrolle“. Auch bei den Polizeipräsidenten und beim Verfassungsschutz hat Jacob „Offenheit“ festgestellt.
Der Datenschützer kritisierte die elektronische Rasterfahndung, mit der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nach „Schläfern“ von al-Qaida gesucht wurde. Viele tausend Menschen, überwiegend junge Araber, waren dabei in die Polizeicomputer geraten. Gefunden wurde niemand. Zwar habe sich das zuständige Bundeskriminalamt (BKA) formal an die Gesetze gehalten. Ob diese „massenhafte Erhebung personenbezogener Daten (…) einer Vielzahl von Unverdächtigen“ aber tatsächlich der Absicht des Gesetzgebers entsprach, ist für Jacob „gleichwohl fraglich“. Er fordert, alle Daten zu löschen, die nicht zu so genannten Trefferfällen geführt haben.
Erhebliche Bedenken erhob der Bundesdatenschützer auch gegen die ständige Ausweitung des genetischen Fingerabdrucks. Kaum ein aufsehenerregender Mordfall, bei dem die Polizei die ansässige Bevölkerung nicht zu einer freiwilligen DNA-Analyse auffordere. Rund 250.000 Personendatensätze befinden sich in der DNA-Analysedatei des BKA; in geringerem Umfang sammeln auch die Länderpolizeien. Zweifellos sei die Gen-Analyse wichtig im Kampf gegen die Kriminalität, so Jacob. Allerdings dürfe sie nur nach einer richterlichen Anordnung durchgeführt werden und nicht einfach durch ein Freiwilligkeitsprinzip ersetzt werden. Diese Klarstellung fehle aber bisher.
Kritik übte Jacob aber nicht nur an den Sicherheitsbehörden. So sei etwa die geplante Gesundheitskarte nicht grundsätzlich zu bemängeln. Doch müsste sie für den Patienten transparent bleiben und er die Kontrolle über die hochsensiblen Daten behalten.
Auch in der Privatwirtschaft geht der Trend zu immer größeren Datensammlungen und -verbänden. Neben Kreditauskunfteien entwickelten nun auch Wohnungsgesellschaften eigene Warndateien. Jaco warnte davor, dass es am Ende so weit kommen könnte, dass ein 20-Jähriger, der seine Handy-Rechnung nicht zahlen könne, später kein Konto eröffnen, keine Versicherung abschließen und keine Wohnung finden könne. Die Meinung, wer nichts zu verbergen habe, der brauche keinen Datenschutz, gehe an der aktuellen Entwicklung völlig vorbei.