: Keine Chance als Chance
Markenzeichen Frieden: Osnabrück hat ein Konzept für 2010 bei der Hand
Schon beim verspäteten Einlauf des Zuges im legendären Kreuzbahnhof sind alle Zweifel, wo zur Hölle man sich denn nun schon wieder befände nach knapp zwei Stunden Irrfahrt, ausgeräumt: „Osnabrück, Zentrum im Osnabrücker Land“ steht auf dem Bahnhofsschild. Na denn. Rasch zum Rathaus, wo feierlich das Bewerbungskonzept der Stadt vorgestellt wird. Kulturhauptstadt 2010 will man werden. Doch können weder der Busfahrer noch Fahrgäste Auskunft geben, wo das Rathaus ist. Letztlich doch angekommen, stößt man in eine bunte Runde städtischer Offizieller, die vor allem eines eint: die realistische Einschätzung der eigenen Chancen.
Konkurrenz um den Titel gibt es zuhauf, 15 Städte bewerben sich bundesweit. Das weiß man auch hier. Auch bekannt ist, dass Niedersachsen Braunschweig favorisiert. Jägermeisterschlau hat man sich dort die Unterstützung durchs Land in der Koalitionsvereinbarung von FDP und CDU festschreiben lassen. Eine Möglichkeit, die Osnabrücks Kulturdezernent Sliwka (FDP) einräumt, verpasst zu haben.
Doch das ficht die lustigen Gesellen nicht an. Der Akzent der Osnabrücker Bewerbung liegt auf dem Frieden. Das liegt nahe: In Osnabrück und in Münster wurde vor 350 Jahren der Westfälische Frieden ausgehandelt und verkündet. Er beendete den 30-jährigen Krieg. Friede, sei, so Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip (CDU) „eine allgemeine Aufgabe“. Die Idee, „die Friedenskultur aufs Schild gehoben zu haben“ sei einzigartig, so Fip. In der Tat: Konkurrentin Augsburg hatte lange mit dem gleichen Label geliebäugelt. Jetzt ist das Friedensthema jedoch nur eines unter vielen ihrer Kulturhauptstadtbewerbung. Osnabrück hingegen setzt den Frieden als Hauptthema und ordnet ihm alles Übrige unter. Auch wenn der Osna in der Kategorie Kultur vielleicht nicht errungen werden sollte: Man übt sich in Fairness, gerade den anderen Bewerbern gegenüber. Diskretion regiert, und zwar in Person von OB Fip. Er verschweigt höflich alles: „Wenn ich Ihnen sagen würde, was das kostet in Bremen…“ Friede seiner Masche.
Es lasse sich „nichts erfinden, nicht zaubern“, so Sliwka, man müsse halt nehmen, was man hat. Im Konzeptpapier der Leiterin des Fachbereichs Kultur, Dagmar von Kathen, lässt sich nachlesen, welche Ideen ein Brainstorming über Osnas Qualitäten zutage gefördert hat.
Bemerkenswert etwa der Plan, eine symphonische Dichtung in Auftrag zu geben, die „als Osnabrücker Sendung in alle Teile Europas verschickt werden kann“ – gleichsam der Soundtrack für die Bewerbung. Auf dem Plan steht auch ein Tanzfestival, in dem „präventive und terroristische Gewalt zum Gegenstand tänzerischer Ausdrucksformen werden.“ „Himmlische Gärten“ verschiedener Religionen werden im Hinblick auf die Gartenschau auf Osnabrücker Erde errichtet. Des Weiteren vorgesehen sind ein Friedensstadtfilm, eine Erweiterung des Remarque-Zentrums zu einem Haus der Literaturen der Welt und eine Ausstellung zur Shoah in der zeitgenössischen Kunst im Felix-Nussbaum-Haus.
Das alles muss man natürlich ein bisschen unter die Leute bringen. Deshalb wird am 27. März etwas mehr als der halben Auflage der Neuen Osnabrücker Zeitung das Journal 2000zehn beigelegt. Auf dessen 24 Seiten huldigen diverse Stargäste der Stadt an der Hase. So zum Beispiel Franziska Augstein, die Osnabrücks internationale Partnerverträge aufzählt. Oder Fip selbst, der vorschlägt, alle Friedensnobelpreisträger sowie den UN-Generalsekretär in die Friedensstadt einzuladen, um „über machbare Konfliktlösungsstrategien zu diskutieren.“
Überhaupt das Machbare: Es steht im Vordergrund der Osnabrücker Bemühungen. Man will an den jetzigen Kulturbestand anknüpfen und die Bewerbung als Sprungbrett nutzen, diesen weiterzuentwickeln. In der Tat war 1976 Osnabrück die erste deutsche Stadt, die einen Kulturentwicklungsplan vorlegte. Seither ist dieses Konzept die Grundlage einer nachhaltigen Kulturpolitik. Osna hat mit dem European Media Art Festival, dem 1998 eröffneten Schmuckstück Felix-Nussbaum-Haus und der Bundesgartenschau 2015 einige Asse im Ärmel, die noch aufgewertet werden sollen.
Robert Best