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Archiv-Artikel

Ein Star im besten Sinne

Muss man die MoMA-Ausstellung in Berlin tatsächlich gesehen haben? Oder skeptisch sein, weil hier Kunst für die Masse vermarktet wird? Sagen wir so: Ein Besuch lohnt

Die Repro-Kunst hat auch ihr Gutes: Sie steigert den Reiz am Original. Das Echte sehen, das Berühmte, den Star, hautnah

VON SUSANNE LANG

Auch Besucher Nummer 55.678 empfängt die Stimme Robert de Niros so gelassen und charmant, als wäre er der erste. „Guten Tag und herzlich Willkommen zur wohl spektakulärsten Ausstellung, die Deutschland in den letzten Jahren gesehen hat: das MoMA ist zu Gast in Berlin –“ Die Kopfhörer des Antenne-Audio-Guides knacken, es rauscht kurz. Dann ist die rauhe Stimme wieder da, DIE deutsche Stimme Amerikas, Christian Brückner, Synchronsprecher von Robert de Niro, ganz nah, ganz ungestört. „Die wohl bedeutendste Sammlung moderner Kunst der Welt, die hier mit 200 ihrer größten Meisterwerke vertreten ist.“

Die Ausstellung „Das Museum of Modern Art in Berlin“ – ein Event der Superlative, ein Jahrhundert Kunstgeschichte, mit Museumsshop und legendärer Hollywoodstimme mainstreamkompatibel vermarktet. Ist er das schon? Der Kick für die Besuchermassen, die sich geduldig um die neue Nationalgalerie schlängeln und stundenlang auf Einlass warten? Die Erklärung für die wöchentlichen Besucherrekordmeldungen? Bereits nach dem zweiten Ausstellungswochenende hatten 40.000 Besucher die Schau gesehen, gestern waren es bereits 65.000.

Das Unbehagen an der Massenkultur nagt, nickt und sagt: Ja, leider. Jemand wie Herr Irrsigler, Museumsaufseher in Thomas Bernhards „Alte Meister“, würde sagen: Die Leute gehen ja nur in das Museum, weil ihnen gesagt worden ist, dass es ein Kulturmensch aufzusuchen hat, nicht aus Interesse. Jemand wie Herr Gunz, Unternehmer aus München und Besucher des MoMA in Berlin, lächelt nur und sagt: „Kunst ist doch etwas für viele Menschen, nicht nur für das Bildungsbürgertum. Kunst gehört zum Leben und heute muss man eben vermarkten, um neugierig zu machen.“ Dann stupst er seine Begleiterin und zeigt auf die Skulptur vor ihm, die „Schwebende Figur“ von Gaston Lachaise. Er breitet die Arme aus, genau wie die Figur, und sagt: „Schau, als ob sie die ganze Welt umarmt.“ Und Robert de Niro? Er bleibt gelassen und sagt: „So oder so wünsche ich viel Vergnügen und eine spannende Reise.“

Sie haben alle Recht, auf ihre Art. Aber erklärt das schon den Ansturm auf die MoMA in Berlin? Auf den Werbepostern vor Beginn der Ausstellung stand zu lesen: Der Star kommt. Das MoMA in Berlin – ein amerikanischer Star, dem Auge hautnah wie nie zuvor. Und dieses Versprechen ist mehr als nur eine Marketingstrategie, der Glamour-Gast aus New York – ähnlich wie ein Hollywood-Star – fasziniert die Besucher, er zieht sie in Massen an.

Die Treppen nach unten; heraus aus dem hellen Eingangsbereich des Mies-van-der-Rohe-Baus, hinein ins gedämpfte Licht im Foyer. Dort ist er, der Star: Die Original-Kunst, in gelbem Ausstellungslicht, vor den großen Augen der Besucher. Gegenüber baumelt das Image des Stars, die Reprokunst, in pinken MoMA-Plastiktüten, Poster, Kataloge, Stifte, an den Händen zufrieden lächelnder Museumsshop-Besucher.

„So berühmt ist dieses Werk des MoMA, dass wir sofort wissen, was das Bild auf den drei Leinwänden vor uns ausbreitet: Es ist der Teich aus Monets Garten in Giverny. Aber wäre dies auch Ihr Eindruck gewesen, wenn Sie ohne sein vielfach auf Postern, T-Shirts und Kaffeetassen reproduziertes Seerosengemälde zu kennen vor dieses Werk getreten wären?“

In Berlin liegen zwischen Repro und Original, zwischen Konsum und Kontemplation nur ein paar Schritte. Annegrit Nawrocki hat sie gerade zurückgelegt. Schon zum zweiten Mal. Sie ist mit ihrem Mann aus Zürich angereist, obwohl sie die Kunstwerke im New Yorker MoMA bereits gesehen hat. „Ich setze mich gerne mit Kunst auseinander“, sagt sie und meint es auch. „Das hat nichts mit Gefallen oder Geschmack zu tun – was hier alles an Pommes Frites ausgestellt ist, verrückt!“

Im positiven Sinn meine sie das, es gefalle ihr nicht, aber gerade deshalb sei die Auseinandersetzung so spannend: Was greife moderne Kunst wie auf? Ein klein wenig klingt das nach Ausstellungskatalog. Aber so, wie ihre Augen glänzen, darf man ihr glauben: Es geht ihr um Sehen aus Interesse. Um die Lust am Entdecken. Am Hinterfragen von abgestumpften Sehgewohnheiten.

Die Reprokunst hat auch ihr Gutes. Sie schafft Wiedererkennungswert. Bekanntheitsgrad. Sie hat die Kunst ins Alltagsleben integriert, zu einem Teil unseres Lebens gemacht – ein Seerosen-Monet fürs Schlafzimmer, ein Suppendosen-Warhol für die Küche und den Picasso-Wochenplaner mit Platz für Notizen für die Handtasche. Kunst ganz demokratisch: für alle verfügbar, Mainstream im besten Sinne. Gleichzeitig steigt die Aufmerksamkeit für und der Reiz am Original. Das Echte sehen, nicht den Konsumartikel, das Berühmte, den Star hautnah – das MoMA, live, hier und jetzt.

„Marcel Duchamp, Das Fahrrad-Rad, eine Inkunabel der Kunstgeschichte. Aber ist man nicht auch heute versucht zu fragen: Ist das Kunst?“

Der ältere Herr zieht mürrisch die Mundwinkel nach unten. Er ist nicht versucht zu fragen. Und noch weniger versucht zu antworten, was er denn von dem Fahrrad-Rad halte, ob es Kunst sei, warum er hier ist. Er schüttelt nur den Kopf und trottet seiner Begleitung nach, weiter zum nächsten Ausstellungsstück. „Muss man gesehen haben. Eine tolle Gelegenheit, kommt so schnell nicht wieder.“ Solche Sätze hört man auch – besonders gerne in der Warteschlange vor dem Eingang. „Ein Geschenk für meine Frau. Ein Kulturtrip in die Hauptstadt. MoMA-Special, Übernachtung in Nobelhotels für nur 160 Euro“. Ist das Kunst? Walter Gunz beantwortet es für sich so: „Ob ich die Kunst schön finde oder verstehe, ist nebensächlich. Man muss sie sehen wie ein Kind.“

Dirk Häfner ist 22 und Geografiestudent. Er will ebenfalls die Gelegenheit nutzen. „So viele bekannte Gemälde bekommt man in Berliner Museen so schnell nicht zu sehen“, sagt er, „das ist tatsächlich spektakulär.“ Eigentlich sei er ja kein großer Kunstfan. Wenn Häfner über den Stil von Gerhard Richter und seinen RAF-Zyklus „18. Oktober 1977“ spricht, wie er einen schwarzweißen Traum-Schleier über die Bilder und die Geschichte lege, klingt das anders.

„Nun ja“, sagt er und grinst, „sehr viele meinen, sie müssten als Kunstfans pseudointellektuell über Kunst reden, das ist nicht mein Ding.“ Wenn ein Kunstwerk zur Ware wird, ändert sich seine Funktion, sagt Bertolt Brecht. Es fordert eine Rezeption in einem bestimmten Sinn, sagt Walter Benjamin, der Betrachter muss sich seinen Weg zum Kunstwerk suchen. Für Dirk Häfner scheint genau das seinen Reiz zu haben. Für die Kinder, die gerade vor Picassos „Badender“ ihre Zeigefinger in die Luft strecken, auch. Eine Schulklasse. Eine Extraführung. „Das Knie ist zu weit unten“, sagt ein Mädchen. „Der Fuß passt nicht“, sagt ihre Freundin, „er ist verdreht.“ – „Genau“, bestätigt die Museumsführerin. „Seht ihr, das ist der Unterschied zu einem Foto. Es ist gemalt, Fantasie.“

„Die Pop-Art-Künstler nahmen sich der modernen Werbemechanismen an, ihrer Oberflächlichkeit und Plakativität. Kurz: der heilen schönen Welt. Sie experimentierten mit den mechanischen Reproduktionsmöglichkeiten der Werbung.“

Ankunft bei Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Ankunft bei einer Kunst, die sich am Massenartikel abarbeitet und gerade deshalb zum Massenartikel taugt. Wie ferngesteuert staunend stehen sie auch deshalb vor den Werken, die Besucher mit ihren Kopfhörern, mit ihren „Ah-Großartig“s und „Echt-Toll“s und „Richtig-Abgefahren“s. Comic-Art und Suppendosen, Frühstückstassen, aufgeklebte rote Plastikblumen und Autokennzeichen auf Collagen, Kunst und soziale Alltagswelt – das Museum of Modern Art in Berlin ist eine Schnittstelle zwischen beidem. Eine Projektionsfläche, ein Star im besten Sinne, der ebenso sehr ein Geheimnis zu entdecken verspricht, wie er angehimmelt und konsumiert werden kann.

„Nun endet unser Rundgang durch das MoMA in Berlin“, sagt Robert de Niro. Eine Fanfare ertönt blechern. Und Besucher Nummer 55.678 geht seinen Antennen-Audio-Guide gegen einen Katalog eintauschen.