: Schön wie ein Sieg
Erstmals verliert Bochums Coach Neururer nicht in Berlin und feiert das 1:1 bei Hertha BSC als moralischen Erfolg
BERLIN taz ■ So wohl wie am Samstag hat sich Bochums Spielmacher Dariusz Wosz schon lange nicht mehr gefühlt auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions. Zwar wurde der Ex-Herthaner wie immer heftig ausgepfiffen, doch das focht ihn diesmal wenig an. Generös lobte er später den Berliner Manager Dieter Hoeneß, der ihn einst gehen ließ, anstatt ihn als Marcelinho-Ersatz auf der Bank versauern zu lassen, freute sich auf ein abendliches Treffen mit alten Freunden und war insbesondere glücklich über den Punktgewinn seines VfL Bochum beim 1:1 gegen Hertha BSC. „So läuft es eben, wenn man oben steht“, sagte er, „wie es ist, wenn man unten steht, sieht man ja bei Hertha.“
Eine Theorie, die auf den ersten Blick ein wenig abenteuerlich anmutete. Das 1:1 eines Champions-League-Aspiranten bei einem heißen Abstiegskandidaten gilt gemeinhin nicht als großartige Errungenschaft. Doch in diesem Fall lagen die Dinge anders. Bochum hatte eine turbulente Woche hinter sich mit „diesen herrlichen Geschichten“, wie es Hertha-Coach Hans Meyer süffisant nannte. Sunday Olisehs Knochen brechender Nasenstüber gegen Vahid Hashemian mit anschließendem Rauswurf des Übeltäters hatte in der heilig-heilen VfL-Welt gewirkt wie ein Blitzschlag in einem Heuschober. Gar zu gern hatten die Bochumer den in den Medien konstruierten Wandel von der grauen Maus zur bunten Gutelaunetruppe für sich übernommen. Doch nach dem nigerianischen Querschläger waren Trainer Peter Neururer und seine Mannen offenbar so erschüttert, dass sie ein Ende ihres Ein-Herz-und-eine-Seele-Fußballs zumindest für möglich hielten. Nach dem Punktgewinn, der Neururer „so schön wie ein Sieg“ dünkte, war davon keine Rede mehr. „Wir haben bewiesen, dass wir ein Team sind“, sagte Dariusz Wosz voller Stolz. Will sagen: Das Bochumer Wunder geht weiter.
Dabei hatte der VfL in der ersten Halbzeit Glück, dass Oliseh nicht mehr dabei war – der hätte angesichts der schwachen Leistung wahrscheinlich die halbe Mannschaft vermöbelt. Nach beidseitig lethargischem Beginn schoss Marcelinho die plötzliche Führung für die Gastgeber, danach waren diese klar überlegen. Dass es bei einem Treffer blieb, lag an einer Berliner Befindlichkeit, die Trainer Meyer ansprach, als man ihm sagte, Hertha hätte bei Halbzeit eigentlich 4:0 führen müssen. „Bei unserer Chancenverwertung?“, antwortete der Coach mit einem sanften Hohnlachen im Mundwinkel.
Bochums Trainer sei in der Pause sehr ruhig gewesen, verriet Wosz, „das hat mich gewundert“. Vermutlich war Neururer einfach der Meinung, dass es zuletzt genug Krawall in seinem Team gegeben habe. Zumal ja auch die sanfte Tour funktionierte, verbunden mit der Anweisung, etwas offensiver zu Werke zu gehen. Das reichte, um Herthas Abwehr ins Schwimmen zu bringen und den Ausgleich zu erzielen. Als dann Meyer in Schachspielermanier konterte und durch die Einwechslung von Abwehrkraft Rehmer für Stürmer Ludwig das taktische Gleichgewicht wieder herstellte, war das Match im Grunde gelaufen. Hertha stellte seine Unfähigkeit unter Beweis, „Ballbesitz so zu spielen, dass man auch das Tor bedroht“ (Meyer), Bochum sorgte dafür, dass der für die Ruhrpottmeisterschaft so kostbare Punktgewinn und die erfolgreiche Sanierung der mannschaftlichen Psyche nicht mehr in Gefahr gerieten.
Während Meyer eine Verschlechterung der fatalen Hertha-Heimbilanz „um zwei Minuspunkte“ beklagte, aber im Vergleich zur Niederlage gegen Frankfurt eine Steigerung der „Bereitschaft“ wohlwollend konstatierte, war der Berlin-Trip nicht nur für Dariusz Wosz, sondern auch für den VfL-Trainer rundum gelungen. Schließlich hatte Neururer in Berlin bisher noch mit jeder Mannschaft verloren – inklusive der von Hertha BSC, die er 1991 knapp drei Monate lang betreute. Grund genug für den 48-Jährigen, genüsslich daran zu erinnern, dass sein VfL jetzt auf dem Tabellenplatz stehe, den eigentlich die Berliner angepeilt hatten, und Hertha dort, wo mancher die Bochumer erwartete. Christoph Daum zum Beispiel. „Äußerungen eines Schwachsinnigen“, hatte Neururer dessen Abstiegsprognose genannt – eine Interpretation, der man nach der zügigen Selbstheilung der Bochumer Nasenaffäre mehr denn je zuzustimmen geneigt ist. MATTI LIESKE