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Archiv-Artikel

Frauen! Stört uns nicht!

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Auf einem viel zu hohen Stuhl sitzt ein Mann mit Bauchansatz. Sein Füße schweben weit über dem Boden, verlegen schwenkt er ein Nationalfähnchen Polens. Ihm gegenüber steht eine blonde Frau und sieht den etwas lächerlich wirkenden Herrn mit Halbglatze verständnisvoll an. In der Hand hält sie die Einkaufstasche. Sie hat sich auf einen niedrigeren Stuhl gestellt, um dem so hoch sitzenden Mann in die Augen schauen zu können. „Hallo“, scheint er ihr schüchtern zu sagen. „Ich kämpfe für Polen!“ Und sie scheint resolut zu antworten: „Okay. Dann gehe ich so lange einkaufen.“

Besser ist das polnische Rollenklischee von Mann und Frau kaum zu beschreiben. Zwar wird der polnische Mann gern als ewiges Muttersöhnchen und die polnische Frau als Übermutter und Heldin des Alltags karikiert. Doch der Mann als verklemmter Patriot und die Frau als gesellschaftlich unter ihm stehende Hausfrau – das kommt der Realität zu nahe, als dass man sich gern damit auseinander setzen würde.

Doch diesmal musste es sein. Denn die liberale Gazeta Wyborcza druckte einen Text von Agnieszka Graff. Die 34-Jährige, die ihr Studium in den USA absolviert hat, gilt als eine der einflussreichsten Feministinnen Polens. Berühmt wurde sie mit dem Buch „Welt ohne Frauen“, aus dem auch der inzwischen weltweit nachgedruckte Text „Das Patriarchat nach der Sexmission“ stammt. „Seksmisja“ – was sich für Ausländer geheimnisvoll anhört, ist ein polnischer Kultfilm aus den 80er-Jahren. Als Science-Fiction-Film schaffte es die gesellschaftspolitische Parabel durch die Zensur. Vor langer Zeit, erzählt der Film, gab es in Polen mutige Kämpfer, Ritter und Familienvorsteher, „echte Männer“ eben. Dann aber geschah etwas Furchtbares: Die komuna kam, schickte die Männer in die innere Emigration und verwandelte sie in Schrebergärtner, Hobbybastler und Pantoffelhelden. Im Film durchleiden die beiden Biologen Albert und Max dieses Männertrauma, als sie im Jahr 2044 aus dem Kälteschlaf erwachen und sich in einem totalitären Staat wiederfinden: Die Frauen sind an der Macht, die künstliche Befruchtung hat Männer überflüssig gemacht, und auch den beiden Helden droht die Kastration. Doch als Verführer alter Schule gelingt es ihnen und zwei Verräterinnen, dieses furchtbare Regime der „Welt ohne Männer“ zu besiegen und die alte Ordnung wiederherzustellen.

„Schon in der Solidarnosc-Zeit kündigte sich an, was uns Frauen nach der Befreiung vom Kommunismus drohen würde“, sagt Agnieszka Graff der taz. „Aber wir wollten die Zeichen nicht sehen. Auch wir kämpften ja schließlich für Freiheit und Demokratie. Doch die Solidarnosc-Männer haben die ‚alte Ordnung‘ wiederhergestellt. Statt Traktoristinnen und Abtreibung gibt es nur noch die Frau, die Beruf und Kinder-Küche-Kirche unter einen Hut bringt.“

Dass sich das demokratische Polen in eine „Welt ohne Frauen“ verwandeln könnte, zeigte sich laut Graff bereits Anfang der 80er-Jahre, als eine Losung, die ein streikender Werftarbeiter an eine Wand gepinselt hatte, keinen Protest hervorrief: „Ihr Frauen! Stört uns nicht! Wir kämpfen für Polen!“ Es war der alte Mythos: Die Männer kämpfen für Volk und Freiheit, die Frauen weinen, schmieren Butterbrote und schicken auch noch ihre Söhne in den Kampf.

„Wir hätten schon damals sagen sollen, dass wir gemeinsam kämpfen. Aber wir haben die Männer ja nicht nur bewundert, wir haben sie in ihrem kindlichen Kampfeifer auch ein bisschen belächelt.“ Die Literaturdozentin an der Warschauer Universität lächelt spöttisch. „Im Grunde sind wir polnischen Frauen überzeugt, dass wir die Starken und unsere Männer die Schwachen sind. Wir glauben, dass die Männer uns so sehr brauchen, dass sie am Ende das tun, was wir wollen. Leider ist das eine Selbsttäuschung. Denn die Männer nutzen diesen Glauben aus. Sie loben die Frau als Heldin des Alltags, küssen ihr die Hand und nehmen ihr dann alle Rechte.“

Immer mehr Frauen in Polen kommen zu diesem Schluss. Denn das äußerst restriktive Abtreibungsgesetz von 1993 lässt sich zwar leicht umgehen – es gibt tausende Ärzte, die sich mit illegalen Abtreibungen ein Zubrot verdienen. Schätzungen unabhängiger Experten zufolge stehen den 160 legalen Abtreibungen pro Jahr bis zu 200.000 illegale gegenüber. Doch die Doppelmoral von Kirche und Staat, die dieses Gesetz und seine Folgen zu verantworten haben, hat neben hunderten Frauenorganisationen auch eine neue Frauenbewegung entstehen lassen. Es ist nicht nur das fehlende „Recht auf meinen Bauch“, das polnische Feministinnen umtreibt.

In den letzten Jahren hat sich das Bild vom Mann als Ernährer erneut durchgesetzt. Die Folge: Immer mehr Frauen verlieren ihre Arbeit. Trotz eines Antidiskriminierungsgesetzes richtet sich heute wieder knapp die Hälfte aller Stellenausschreibungen in Polen allein an Männer, berichtete das Nachrichtenmagazin Polityka schon im Jahre 2000. Geändert hat sich daran bis heute nicht viel. Auch gut ausgebildete Polinnen stoßen auf ihrer Karriereleiter immer häufiger an die „gläserne Decke“: Bei gleicher Qualifikation wird meist der männliche Kandidat bevorzugt. Zwar gibt es inzwischen neben dem Mutterschafts- auch den Vaterschafts- und sogar Erziehungsurlaub, den beide Eltern nehmen können, doch meist ist es doch die Frau, die die zwei- bis dreijährige Auszeit nimmt.

„Aber“, sagt Agnieszka Graff und dehnt das Wort leicht drohend in die Länge, „wir werden immer mehr. Allein mein Buch hat sich in Polen 12.000-mal verkauft. Zu den Frauendemos am 8. März kommen jedes Jahr mehr Frauen.“ Erst vor zwei Jahren habe die feministische Bewegung in Polen einen ihrer größten Erfolge errungen. Bischof Tadeusz Pieronek, Rektor der Päpstlichen Akademie in Krakau, hatte Polens Staatssekretärin für Gleichstellungsfragen, Izabella Jaruga-Nowacka, als „feministischen Beton“ bezeichnet, dem nicht einmal Salzsäure etwas anhaben könne. Diesmal war das Maß selbst für so distanzierte und honorige Damen wie die Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska voll. Neben ihr unterzeichneten so berühmte Polinnen wie die Regisseurin Agnieszka Holland, die Bildhauerin Magdalena Abakanowicz und die Professorin Irena Grudzinska-Gross einen Protestbrief an das Europäische Parlament. In Polen sei es zu einer Art Stillhalteabkommen zwischen postkommunistischer Regierung und katholischer Kirche gekommen, schrieben sie.

„Die Kirche unterstützt den EU-Beitritt, dafür verkauft die Regierung die Rechte der Frauen“, bringt es Graff auf den Punkt. Jaruga-Nowacka hatte sich Gedanken gemacht, wie die Folgen des rigiden Abtreibungsgesetzes abgemildert werden könnten und wie Sexualaufklärung in der Schule aussehen könnte. „Wenn wir geschrieben hätten, dass Bischof Pieronek katholischer Beton sei, dem nicht einmal Salzsäure etwas anhabe könne, hätte es sicher einen Aufschrei gegeben“, sagt Graff. „Dennoch, damals haben alle hingehört, was wir zu sagen hatten. Und so wurde sogar Wislawa Szymborska zur polnischen Feministin!“