: Tarif-Schlappe für den Senat
Gericht: Austritt Berlins aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband ist unwirksam. Für rund 13.500 Arbeiter könnten nun Bundestarife gelten. Gewerkschaften lehnen neues Tarifangebot des Senats ab
von RICHARD ROTHER
Eine schwere Schlappe hat der rot-rote Senat vor Gericht erlitten: Der „Blitzaustritt“ aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband ist ungültig. Das hat das Berliner Arbeitsgericht gestern entschieden und damit einer Klage der Gewerkschaft Ver.di stattgegeben. Für rund 13.500 Arbeiter des Landes könnten nun die bundesweiten Tariferhöhungen von bis zu 4,4 Prozent mehr Lohn gelten. Nach ersten Schätzungen dürfte dies dem Land jährlich rund 10 Millionen Euro kosten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat will Berufung einlegen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit versuchte die Bedeutung des Urteils herunterzuspielen: „Das ist politisch keine Niederlage für den Senat“, Entscheidungen in erster Instanz fielen in der Regel arbeitnehmerfreundlich aus.
Das Land Berlin hatte am 8. Januar seinen Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) „mit sofortiger Wirkung“ erklärt. Damit sollte verhindert werden, dass Berlin die im Januar verhandelten bundesweiten Tarifverträge für den öffentlichen Dienst übernehmen muss. Bereits im Herbst 2002 hatte Berlin fristgemäß seine KAV-Mitgliedschaft zum 31. Januar gekündigt. Mit dem „Blitzaustritt“ wollte der Senat die Nachwirkungspflicht für den Fall aushebeln, dass die neuen bundesweiten Tarifverträge vor dem 31. Januar unterzeichnet würden. Dieser Fall trat dann ein – zumindest bei den Tarifverträgen für Arbeiter. Die Verträge für die rund 90.000 Angestellten des öffentlichen Dienstes wurden erst Anfang Februar unterzeichnet – sie gehen nun leer aus.
Das Gericht begründete sein Urteil mit der Wirkung des Verbandsaustrittes auf Dritte, nämlich die rund 13.500 Arbeiter. Ein Blitzaustritt sei nicht unzulässig, es hätte aber ein wichtiger Grund vorliegen müssen. Diesen habe aber das Land nicht erläutern können. „Wenn Sie darlegen könnten, dass mit dem Tarifvertrag der Haushalt des Landes saniert werden könnte, wäre dies ein gewichtiger Grund“, so das Gericht.
Ver.di-Anwalt Henner Wolter bezeichnete das Urteil als „Sieg für die Tarifautonomie“. Das Gericht habe seine Auffassung bestätigt, dass ein Arbeitgeberverband kein Hühnerzüchterverein sei. Das Land Berlin habe das ganze Verfahren lax vorbereitet, sei fast nach dem Motto „legal, illegal, scheißegal“ vorgegangen. Dabei seien zahlreiche formale Fehler gemacht worden.
Der KAV-Anwalt Roland Gastell erklärte, das Urteil werde nun geprüft. Dann werde über eine mögliche Berufung entschieden. Eine Verhandlung in zweiter Instanz könnte noch in diesem Jahr stattfinden.
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben unterdessen das jüngste Tarifangebot des Senats als „deutlichen Rückschritt“ abgelehnt. „Das Angebot ist in vielen Punkten ein Skandal“, sagte Ver.di- Verhandlungsführer Roland Tremper gestern. Am meisten empöre die Gewerkschaften, dass der Senat eine dauerhafte Abkopplung vom Flächentarif festschreiben wolle. Im ersten Angebot habe es noch geheißen, dass die öffentlich Beschäftigen von 2007 an wieder Tariferhöhungen erhalten sollten. Völlig inakzeptabel seien auch die geplanten Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Tarifkommission berate am 13. Mai das weitere Vorgehen der Gewerkschaften. Tremper: „Möglich ist alles, auch ein Scheitern der Gespräche.“
Der Senat plant, rund 500 Millionen Euro jährlich bei den Personalkosten zu sparen und damit einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten. Berlin ist bereits mit über 47 Milliarden Euro verschuldet und muss weiter Schulden aufnehmen, weil die Einnahmen die Ausgaben nicht decken.