: Weiche Drogen auf der Brüsseler Straße
Zu Besuch in einem Maastrichter Traditions-Coffeeshop: Nur noch wenige Deutsche kommen auf eine Pfeife hinein. Junge Menschen suchen designte Läden, designte Drogen. Auch die konservative Regierung der Niederlande hält an einem sanfteren Umgang mit Haschisch und Cannabis fest
Coffeeshopping bei ‚Alex‘: Roter Libanese, grüner Marokkaner, schwarzer Afghane, türkisches Gras und – natürlich – Gras aus Belgien und den Niederlanden. Aus vielen Scheunen im goldenen Dreieck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden dringt nachts helles Licht. Das Gramm kostet zwischen 3,50 und neun Euro
AUS MAASTRICHTLUTZ DEBUS
Die Bruesselse Straat in Maastricht hat schon bessere Zeiten erlebt. Nicht so liebevoll herausgeputzt wie die anderen Straßen des historischen Stadtkerns ist sie. Eher schmuddelig mit all den Coffeeshops, Headshops und Sexshops. Während in den Auslagen der Erotikläden die aufblasbaren Puppen ihre Münder weit geöffnet haben, kneifen die dunkelhäutigen Plastikfiguren mit ihren Rasta-Locken in den Schaufenstern der Headshops die Lippen so sehr zusammen, dass nur noch Pfeifenmundstücke in deren Münder passen.
Die Coffeeshops sind vielfältig gestylt, von hip bis hippielike. Mich zieht esnicht in die modernen Neonschuppen, sondern in einen freakigen Salon aus der Gründerzeit der Coffeeshops. Hinter der Theke spült eine junge Frau Tassen. Ich spreche die dunkelhaarige Bleiche an: „Guten Tag, ich komme von der taz und möchte über Coffeeshops berichten. Kann ich hier fotografieren und ihre Kunden befragen?“ Meine Sprache ist in dieser Grenzregion kein Problem, jeder spricht hier Deutsch. Aber meine Frage wird zum Problem. Verunsichert zeigt die Angesprochene auf einen Herren in der Ecke des Lokals: „Musst Du den Chef fragen!“
Der Chef, ein korpulenter Mann in den Fünfzigern mit schon etwas abgetragenem Strickpulli, kommt aus der Küche geschlurft. Durch seine Hornbrille, dessen Gläser die Stärke von Murmeln haben, schaut er mich verwundert an: „Mit der Presse arbeiten wir nicht zusammen.“ Ich beteuere, dass die taz dem Anliegen der Kiffer doch eher freundlich gesonnen ist. Ja, die taz kenne er. Als ich dann noch berichte, dass auch Mathias Bröckers, der Hanfdampf in allen Gazetten, für die taz schreibt, ist das Eis gebrochen. Ja, den kenne er, der ist ein guter Mann. Aber fotografieren darf ich trotzdem nicht, auch nicht seinen Namen nennen oder den seines Ladens. Wir einigen uns auf ein Pseudonym: Alex.
Alex betreibt diesen Coffeeshop seit 25 Jahren. Er kifft, wie er zugibt, seit er denken kann. Man möchte diesem riesigen Augenpaar glauben. Dann kommt das von mir schon sehnlichst erwartete Plädoyer bezüglich der Ungefährlichkeit von Cannabis. „Trinkst Du Alkohol? Du, das ist viel gefährlicher. Das macht die Leber kaputt und macht süchtig. Haschisch aber ist gesund, da hast Du nie Probleme. Gut, ein bisschen, aber nicht so viel. Und Drogen braucht jeder Mensch.“ Die Menschen, die sagen, sie brauchen keine Drogen, seien ungenießbar. Das seien die, die den anderen alles verbieten wollen. Und was die Abstinenzler heimlich machen, wolle Alex gar nicht wissen.
Lieber zeigt er mir sein Sortiment. Roter Libanese, grüner Marokkaner, schwarzer Afghane, auch Schimmelafghane, türkisches Gras und natürlich Gras aus Belgien und den Niederlanden. Aus vielen Scheunen, gerade hier im goldenen Dreieck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden, dringt nachts gleißend helles Licht. Mit starken Scheinwerfern werden die limburgischen Cannabisfelder beleuchtet. Homegrown ist die beliebteste und verbreitetste Marke. Es gibt sogar biologisch angebautes Dope für die radikalen Ökos.
Insgesamt führt Alex ständig etwa 20 Sorten Hasch und Gras. Die Preise liegen zwischen 3,50 Euro und 9 Euro das Gramm. Alex deutet auf seinen Gewürzschrank: „Zusammen sind das hier 499 Gramm, auf keinen Fall mehr. Wenn Polizei kommt und ich habe hier 501 Gramm, muss ich eine Geldstrafe zahlen. Und zwar nicht etwa für zwei Gramm sondern für die ganze Menge. Unter einem Pfund Haschisch ist alles erlaubt, darüber alles verboten.“ Ich frage ihn, ob denn das Cannabis nur pfundweise angebaut und befördert wird. Alex grinst nun wie Kater Garfield. „Es gibt Gewohnheitsrecht, es gibt doppelte Moral.“
Vor etwa zwei Monaten besuchte Jan-Peter Balkenende, der christdemokratische Ministerpräsident der Niederlande, die Coffeeshops in der Bruesselse Straat. Es soll trotz der konservativen Regierung, trotz des verstärkten Drucks der Nachbarländer auf EU-Ebene, bei der niederländischen akzeptierenden Drogenpolitik bleiben. Alex hat seinem Ministerpräsidenten trotzdem nicht die Hand gegeben.
Seit dem Bestehen seines Ladens wird ständig davon gesprochen, die Shops zu schließen. Das aber erscheint in diesem Land unmöglich. Schmerzpatienten bekommen hier Haschisch sogar umsonst, vom Arzt verordnet. „Pim Fortuyn hätte hier alles dicht gemacht!“ Vom Nachbartisch mischt sich ein grauhaariger Herr ein. „Er wäre Ministerpräsident geworden und hätte viel Polizei hierhin geschickt.“ Der Rechtspopulist ist zwar fast schon seit zwei Jahren tot, geistert aber noch immer in der politischen Diskussion umher. „Hätte er nicht.“ Alex widerspricht seinem Gast. „Ein Jammer, dass man ihn ermordet hat. Sonst wäre er jetzt entzaubert wie Haider, wär kein Monster und kein Heiliger mehr.“
Zwei Tische weiter sitzen vier Jugendliche aus Deutschland. Sie kichern. Vieles haben sie hier erwartet. Aber ein Gespräch wie am Stammtisch, statt zum Schoppen Wein oder zum Krug Bier zum Pfeifchen, das hätten sie sich nicht träumen lassen. Dabei ließe sich aus deutscher Sicht noch einiges an so einem Stammtisch hinzufügen.
Tatsächlich gibt es seit dem Jahr 2000 etwa 500 Rauschgifttote weniger in Deutschland, verursacht wahrscheinlich durch eine Liberalisierung auch der hiesigen rot-grünen Drogenpolitik. Aber auch in diesem Politikfeld agiert die Bundesregierung widersprüchlich. Während das Gesundheitsministerium über die Legalisierung von Heroin für Schwerstabhängige nachdenkt, führt Innenminister Otto Schily (SPD) weiter Krieg gegen Cannabis. Wenn er mit seinem niederländischen Kollegen Piet Hein Donner zusammen trifft, kommt es, wie zuletzt im vergangenen Oktober, zu grotesken Szenen. Schily beklagt den europaweit uneinheitlichen Umgang mit Drogenkriminalität, meint aber den legalen Verkauf von Cannabis in den Niederlanden. Donner entgegnet dann pflichtbewusst, dass man die illegale Einfuhr von Drogen in die Niederlande bekämpfen müsse, meint damit Kokain und Heroin. Haschisch ist selbst für einen niederländischen konservativen Innenminister keine Droge. Zumindest lässt man sich vom großen Nachbarn nicht gern etwas wegnehmen, früher nicht die Fahrräder, heute nicht die Coffeeshops.
Viele Deutsche kommen nicht mehr. „Hanf wächst doch auch bei Euch inzwischen in jedem Gemüsebeet“, meint hierzu lakonisch Alex. Es gibt Stammkunden aus Aachen. Aber die würde Alex nicht als Drogentouristen bezeichnen. Sie kommen regelmäßig auf ein Pfeifchen vorbei. Aber sie kommen nicht wegen des Haschischs, sondern wegen der Leute, die sie hier treffen.
Im Sommer verirren sich noch öfter Pennäler zu ihm. Die benehmen sich dann genau so wie in einer Kneipe, eben daneben. Sie rauchen Unmengen vom härtestem Stoff und wundern sich, wenn sie umfallen. Aber Alex weiß auch in solchen Fällen Rat. Die Beine werden nach oben gelegt und dann bekommen die Jungs Zucker zu essen. Der Kreislauf muss ja wieder in Schwung kommen.
Skrupel hat Alex nicht, auch jungen Menschen Haschisch zu verkaufen. „Komm‘ mir nicht mit Einstiegsdroge. Seit es hier so viele Coffeeshops gibt, gibt es keine jungen Junkies mehr. Die werden immer älter oder sterben. Früher gab es Hasch und Heroin beim gleichen Dealer. Heute ist das strikt getrennt. Und das ist gut.“
Manchmal fragen ihn Jugendliche aus Deutschland, ob sie bei ihm auch Kokain, Ecstasy oder Crack kaufen können. Er muss diese Kids enttäuschen. Aber oft wird er nicht gefragt. Jene Szene treibt sich woanders rum, nicht in so einem nostalgischen Coffeeshop.