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Archiv-Artikel

Im Paradies der Working Class

Die eigene Familie und die Verschachtelung der Zeit: Daraus hat Darren Almond schon oft spannende und anrührende Videoräume gebaut. Mit „If I Had You“ in der St.-Johannes-Evangelist-Kirche kehrt er zurück nach Blackpool, auf den Spuren von Schulferien und Großmutters Flitterwochen

Es gibt Geschichten, die kommen mit der Nonchalance einer Anekdote und dem Potenzial für einen Mythos daher. Eine davon erzählt Darren Almond, 32, britischer Installations- und Videokünstler, der ein ungewöhnliches Zeichen der Geschichte im Gesicht trägt: 1989 kam der mittlerweile international Gefeierte nach Westberlin, um als Teil einer euphorisch aufgeputschten Masse per Mauersturz die Wende zu vollenden. Da traf ihn die deutsch-deutsche Geschichte in Form eines Mauerbrockens mitten auf den Kopf. Es blieb eine kleine, aber deutlich sichtbare Narbe über dem linken Auge.

Immer wieder ist er seitdem in die deutsche Hauptstadt zurückgekehrt. Jetzt zeigt die Galerie Max Hetzler seine jüngste Arbeit in der St.-Johannes-Evangelist-Kirche in der Auguststraße (noch bis 14. März). Mit der aus vier Einzelprojektionen bestehenden DVD-Installation „If I Had You“ präsentiert Darren Almond sein bisher poetischstes Werk und sorgt für eines der derzeit spannendsten Kunstereignisse jenseits von MoMA- und Biennale-Hype. Wie schon in früheren Arbeiten, etwa wenn Almond über Stunden eine leere Gefängniszelle filmte, geht es um die Multidimensionalität von Zeit und um deren Rückbindung an einen assoziativen, meist klaustrophobisch besetzten Raum.

Almonds künstlerische Praxis ist triangulär: Die konzeptuelle Vermischung von Skulptur, Film und Video-Echtzeitverfahren ermöglicht die Verfeinerung der Wahrnehmung im Sinne eines Forschens und Erfahrens. Es geht bei Almond, wie bei vielen britischen Künstlern seiner Generation, immer auch um das Hinabsteigen in die eigene Familiengeschichte, und so verwundert es nicht, dass auch diese Arbeit stark autobiografisch motiviert ist. „If I Had You“ ist das Porträt einer Witwe, die in Erinnerungen an ihren Geliebten schwelgt. Alle filmischen Elemente sind Teil einer rekonstruierten Assoziationsschleife. Es ist Almonds Großmutter, die da so grandios in den Raum gebracht und um den Großvater trauernd alle anderen Bilder in sich bricht und zurückwirft auf den Betrachter. Der Künstler und Enkel ist selbst Teil jener inszenierten Erinnerung. Die einzelnen Projektionen sind räumlich aufeinander bezogen.

So blickt die alte Frau auf ein tanzendes Paar in einem viktorianischen Ballsaal. Neben ihr speit ein Springbrunnen unermüdlich blaues Wasser. Im Hintergrund zeigt eine Leinwand die großformatige Nachtaufnahme einer kitschig illuminierten Windmühle. Das Bild wird von rotierenden Geräuschen begleitet und ist als Symbol einer vertrauten Kulisse mehrdeutig. Alle Aufnahmen stammen aus dem englischen Urlaubsort Blackpool, dem traditionsreichen Erholungsparadies englischer „Working-Class-Familien“. Hier verbrachte die Großmutter ihre Flitterwochen und Darren Almond seine Schulferien. Es gelingt, den liebenswerten Kitsch des Küstenorts mit der Hyperrealität einer Kindheitserinnerung und der Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe zu überblenden.

Almond schafft einen Ort diffuser Stimmungen, zwischen Klischee und Intimität. Er verknüpft die unterschiedlichen Ebenen des Erinnerns zu einem komplexen Gewebe aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, denn auch er will die Geschichte von Blackpool weitergeben. An seinen Sohn Kaspar zum Beispiel: Almond ist gerade Vater geworden.

Für ihn ist das auch die Entstehung einer weiteren zeitlichen Dimension, einer neuen Erzählung. So schließt sich der Kreis der Generationen im ursprünglichen Versuch, die an der Gegenwart leidende Großmutter mit der Figur des Großvaters zusammenzubringen. Eine poetische Zeitreise in die Vergangenheit wird so schließlich zu einem Vektor in die Zukunft.

KATHARINA TEUTSCH

Darren Almond. St.-Johannes-Evangelist-Kirche. Auguststr. 90., tgl. 11 bis 18 Uhr, bis 14. März