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Archiv-Artikel

Auf wohlfeiler Mission für die Jugend

Seminar zur Leseförderung in Berlin: Getrommelt wurde für die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen, geschimpft wurde auf ökonomische Verwertungsinteressen. Fragt sich allerdings nur, wo das Geld herkommen soll

Beinahe die Hälfte der 15-jährigen Deutschen liest nie ein Buch. Bis zur Ermüdung wird der Pisa-Schock herbeizitiert, wenn es um die Bedeutung schriftsprachlicher Fähigkeiten für die Informations- und Wissensgesellschaft geht. Mit dem drohenden Verlust dieser „Schlüsselkompetenz“ muss das Land der Dichter und Denker um Rang und Namen auf dem globalen Arbeitsmarkt fürchten.

Den Vermittlern literarischer Bildung geht es jedoch um mehr als um die Förderung der Lesekompetenz als Mittel zur Wissensbeschaffung. Dass Wirtschaftlichkeit im Gegenteil in unserer Gesellschaft zum einzig Bestimmenden geworden sei, kritisierten übereinstimmend die Teilnehmer eines Seminars zum Thema Leseförderung, das der Arbeitskreis für Jugendliteratur e. V. vergangenes Wochenende in Berlin durchführte. Aber kommt man tatsächlich noch mit einer solchen Abwehr von Wirtschaftlichkeitsfragen aus?

Multiplikatoren der Kinder- und Jugendliteratur – der Tradition der Sparte gemäß überwiegend weiblichen Geschlechts – diskutierten auf der Tagung kulturpolitische Initiativen, Modelle und Praxisbeispiele zur Lese- und Literaturförderung. Die reichen von Werkstätten, Wettbewerben und Stipendien zur Förderung der Literaturproduktion bis zu meist außerschulischen Aktionen, die die Aufnahme der Literatur anregen sollen, etwa Rezensionsprojekte für Jugendliche im Internet, Lesen im Park, literarische Spaziergänge.

Dass Lesen dabei nicht nur in seiner ökonomischen Verwertbarkeit zu begreifen sei, formulierten die Literaturvermittler immer wieder als ihr zentrales Anliegen. Das Lesen literarischer Texte rege schließlich Fantasie und Kreativität an. Wer lese, gehe in anderer Leute Köpfe spazieren. Lesen als Voraussetzung zum Fremdverstehen, ohne das Demokratie nicht denkbar sei.

Lauter hehre Charakterzüge. Doch wer soll das bezahlen? Zu dieser Frage aller Fragen konnte auch Arno Busse, Referent im Fachbereich Kulturelle Medien der Bundeszentrale für politische Bildung, nichts beitragen als schöne Worte um die soziokulturelle Bedeutung des Lesens. Herr Busse möchte gerne die Unkontrollierbarkeit fördern, die die künstlerischen Gesetzmäßigkeiten mit sich brächten. Seinen Etat zur größeren Gewichtung der Kultur, besonders den für die Literatur, muss er dabei allerdings ziemlich kontrollieren: Mehr als ein Kooperationsprojekt mit einem Literaturfestival war bislang nicht drin.

So klopfen sich Missionare des Lesens die Finger wund auf der Suche nach konkreten Finanzierungsmöglichkeiten. Dass die gescholtene ökonomische Verwertbarkeit offenbar doch nicht umgangen werden kann, kommt nur sehr langsam in ihren Köpfen an. Christoph Schäfer von der Bertelsmann-„Stiftung Lesen“ muss da schon weiter sein. Als „operative“ Stiftung muss die Stiftung Lesen selbst für ihre Kampagnen Sponsoren gewinnen, denn trotz immer wieder geäußerter Wertschätzung von Bund, Ländern und Kommunen werden diese zu über 80 Prozent durch Sponsoring aus der Wirtschaft getragen.

Das Lesen als ganzheitliches Anliegen in Ehren, seine Förderung muss finanziert werden. Und Geldgeber sind am besten durch ökonomische Argumente zu überzeugen. Der wirtschaftliche Aspekt der Lesekompetenz muss sich also nur auf die Frage beschränken, wie ihre Förderung möglichen Sponsoren zu verkaufen ist. Darunter leidet ja nicht der ontologische Anspruch. ESTHER KOCHTE