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: Merkels Unklarheiten sind Programm

Neuerdings läuft die Politik nach dem „Trial and Error“-Verfahren. Machen wir einen Vorschlag, sehen wir, was passiert, und rudern bei Bedarf zurück – nach diesem Prinzip agiert auch die Union in ihrer Reformpolitik. Die strittigsten Punkte in ihren Vorschlägen zum Arbeitsrecht nahm die Union zurück, die Pläne zu einer Steuerreform streckte sie in die Zukunft, der befürchtete Generalangriff auf den Sozialstaat bleibt also vorerst aus. Interessanterweise schafft das aber keine Erleichterung, sondern im Gegenteil erst recht ein Gefühl des Unbehagens.

Denn wer sich das Unions-Papier zu Steuer und Arbeitsrecht anschaut, blickt auf ein Dokument der Vertagung und Vermeidung. Die Reformen zum Arbeitsrecht sind zusammengeschnurrt auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes für die über 50-Jährigen. Das bringt kaum eine Veränderung gegenüber geltendem Recht, das für Ältere schon Befristungen erlaubt. Es ist zudem eine zusätzliche Stigmatisierung der Älteren.

Die angekündigten Einschnitte, beispielsweise die Lockerung der Tarifautonomie und damit die Entmachtung der Gewerkschaften, wurden von der Union jedoch tunlichst vermieden. Die CDU/CSU hat Angst vor allzu klaren Aussagen, weil sie Angst vor den WählerInnen hat. Weil sie nicht mehr einschätzen kann, wie diese ticken.

Immer schwerer wird es beispielsweise für die Union, die Bevölkerung zu segmentieren und dabei Ressentiments auszunutzen, Beschäftigte gegen Erwerbslose, Mittelstandsunternehmer gegen Gewerkschafter auszuspielen. Die frühere gemütliche Verortung der Union irgendwo im bürgerlichen Mittelstand ist dahin, weil diese Mittelschicht immer diffuser wird und in einer unsicheren Jobwelt eigentlich doch der Meinung ist, dass die Gewerkschaften und der Kündigungsschutz vielleicht doch ganz brauchbar sind für die Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes. Man weiß ja nie.

Die Unklarheiten, die die Union jetzt zeigt, sind jedoch für alle wenig hilfreich. Für die Linke ist ein politischer Gegner, den man klar erkennen kann, besser als eine nebulöse Gestalt. Und auch die WählerInnen wollen Orientierung. Wenn die Unklarheit aber zum Programm gehört und zum Timing, weil bis zur Bundestagswahl noch zwei Jahre Zeit sind, dann ist fraglich, ob diese Rechnung aufgeht. Das Schlimmste für eine PolitikerIn sind nicht die Angriffe des Gegners, sondern die eigene Unglaubwürdigkeit.

BARBARA DRIBBUSCH