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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Es gibt ein Leben nach 49 – erstaunlich!

Die Werbewirtschaft hat es längst begriffen: Die Zukunft gehört den Alten. Nur in öffentlich-rechtlichen Sendern nicht

Wie sieht die ideale, glückliche Familie aus? Erwachsene Söhne lachen, scherzen und toben mit ihrer lebenslustigen, attraktiven Mutter. Und wenn alle genug getobt haben, gibt’s leckere Tiefkühlkost. Was ist wahre Freundschaft? Der Freundin, wenn sie schon wieder auf die Toilette muss, liebevoll in die Augen zu schauen und ihr ein Mittel gegen Blasenschwäche zu empfehlen. Was ist Schönheit nicht? Eine Frage des Alters. Behaupten die Hersteller eines Hautpflegemittels.

Die Werbewirtschaft hat die ältere Generation entdeckt. Vorbei die Zeiten, in denen allenfalls vor der bekannten ZDF-Seniorensendung „heute“ ein paar Sekunden lang die bestmögliche Pflege der dritten Zähne angepriesen wurde. Inzwischen werden Zuschauer deutlich oberhalb der einst als „werberelevant“ bezeichneten Altersgruppe auf den großen Privatsendern umworben, vom Frühstücksfernsehen bis ins Abendprogramm hinein. Wie eine Karikatur wirkt mittlerweile die tiefschwarz gekleidete alte Frau, die sich im Blumengeschäft tapfer selbst ein paar Rosen schenkt, um danach zu Hause gerade mal so zufrieden, wie man es im Winter des Lebens bestenfalls erwarten darf, ihren „Lifta“-Treppenlift zu besteigen. Die modernen Alten sind jung, dynamisch und die Zukunft gehört ihnen.

Das ist zwar Quatsch, macht aber gute Laune. Es ist einfach netter, wenn einem gesagt wird, dass man noch alle Möglichkeiten hat, als den Eindruck vermittelt zu bekommen, das Einzige, was man noch erwerben solle, sei eine hübsche Grabstelle. Die aber dafür möglichst bald. Nun dürfte es der Werbewirtschaft kein Herzensanliegen sein, die Stimmung der älteren Generation zu heben. Sie will die beworbenen Produkte verkaufen, und fröhliche Leute kaufen eben lieber ein als betrübte. Offenbar spricht sich allmählich herum, dass es eine ganze Menge rüstiger, älterer Menschen gibt, die sowohl Geld haben als auch viel Zeit. Zum Einkaufen und zum Fernsehen.

Überraschend an dieser Entwicklung ist allenfalls, wie langsam die Erkenntnis reifte, dass das Leben hierzulande nur selten mit 49 Jahren endet. Erstaunlich ist hingegen nicht, dass manche Programmverantwortliche bei öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern es immer noch nicht verstanden haben – nicht einmal diejenigen, die selbst seit vielen Jahren der lebende Beweis dafür sind. Vor einigen Wochen hat der 63-jährige Max Schautzer etwas Ungewöhnliches getan: Er wehrte sich öffentlich und juristisch dagegen, dass er als Moderator der ARD-Sendung „Immer wieder sonntags“ durch den 26-jährigen Sebastian Deyle ersetzt werden soll. „Wir wollen die Sendung verjüngen, Sie sind zu alt“, habe ihm der Unterhaltungschef des Südwestrundfunks gesagt. Diese Äußerung wird von dem Sender bestritten. Die Fakten lassen sich nicht bestreiten.

Die Entscheidung zeugt von einer profunden Kenntnis der Bedürfnisse und Lebensumstände der jüngeren Zielgruppe, die künftig erreicht werden soll. Man sieht vor sich, wie tausende von 20-Jährigen demnächst am Samstagabend ihren Wecker stellen, um nur ja am nächsten Morgen um zehn nicht die „Unterhaltungsshow für die ganze Familie“ aus dem Europapark Rust zu verpassen. Frei nach dem Motto: Ja, der Enkel und der Opa wollen Deyle für Europa.

Nun kann ein gebührenfinanzierter Sender wie der Südwestrundfunk im Unterschied zur Werbewirtschaft bekanntlich nicht gezwungen werden, die Lebenswirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Umso erfreulicher ist es, dass einer es dennoch mal öffentlich versucht. Max Schautzer ist nicht der Erste, der aus Altersgründen vom Bildschirm verschwinden soll, und dem Vernehmen nach ist er nicht einmal der bisher Letzte. Es soll bereits weitere, ähnlich gelagerte Fälle geben, die ihre Wunden allerdings noch im Verborgenen lecken. Schade. Auch sie sollten sich öffentlich wehren, schon im Interesse ihres Publikums. Generationengerechtigkeit ist nämlich nicht nur eine Frage der Rentenpolitik.

Fotohinweis: BETTINA GAUS FERNSEHEN Fragen zum TV-Alter? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER