: Wehrpflichtige benehmen sich daneben
Bericht des Wehrbeauftragten: Sexuelle Belästigung und Nazi-Parolen sind nach wie vor ein Problem bei der Truppe
BERLIN taz ■ Sind Deutschlands Soldaten überdurchschnittlich oft sexistisch und rassistisch? Keineswegs, meint Willfried Penner, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags. Grapschen, Tätscheln und rechte Parolen seien die große Ausnahme, sagte er gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts 2003. Aber sie seien nach wie vor ein Problem.
Immerhin 83-mal klagten Soldatinnen, ein Truppenmitglied oder Vorgesetzter habe sie sexuell belästigt. Bislang sind 31 Fälle untersucht – mit erschreckendem Resultat: In 16 Fällen konnte den Verdächtigten Gewalt, in sechs Fällen verbale Zumutungen nachgewiesen werden. Ein Leutnant etwa schlich sich nachts in die Stube einer Obergefreiten und wurde zudringlich. Er ließ erst von ihr ab, als sie schrie und tobte. Die Bundeswehr entschied: Der Mann wird sofort entlassen. Ein anderer Vorgesetzter befragte eine Soldatin nach ihren Sexualpraktiken und lud sie ein, mit ihm einen Swingerclub zu besuchen. Gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren.
Dennoch hält es Penner nicht für notwendig, nach US-Vorbild ein Not-Telefon für bedrohte Soldatinnen einzurichten. „In Afghanistan etwa ist es offenbar trotz des Telefons zu Vergewaltigungen in der US-Truppe gekommen. Wir stehen mit unseren Mitteln auch nicht schlechter da.“ Frauen haben nicht nur bei der Bundeswehr eine Anlaufstelle, sie können sich auch direkt an Penner wenden.
So versucht die Truppe den Spagat. Sie will Soldatinnen wirksam schützen – aber nicht jede Begegnung unter Generalverdacht stellen. Immer mehr ältere Offiziere etwa treibe schon jetzt die Angst, zu Unrecht als Lust-Monster zu gelten, berichtet Penner. „Viele vermeiden Begegnungen mit Soldatinnen unter vier Augen. Sie rufen Zeugen hinzu oder lassen wenigstens die Tür weit offen“, so der Wehrbeauftragte.
Dagegen sind sich Männer wie Frauen an der Waffe einig: Ein lustfeindlicher Ort soll die Bundeswehr nicht sein. Soldatinnen und Soldaten klagten bei Penner, der Erlass über „Sexuelles Verhalten von und zwischen Soldaten“ sei „lebensfremd“. Vorgesetzte sind demnach verpflichtet, einzugreifen, sobald sie von erotischen Beziehungen zwischen SoldatInnen einer Truppe erfahren – selbst wenn diese nach Dienstschluss stattfinden. Freiwilliger Sex, der dem Dienst nicht schadet, solle Privatsache sein, fordern hingegen die Betroffenen.
Ein anderes Konfliktfeld in deutschen Kasernen hat sich gegenüber den Vorjahr eher verschärft: 139-mal meldeten Soldaten rechte oder ausländerfeindliche Zwischenfälle. Das sind 28 mehr als 2002, aber deutlich weniger als in der Zeit um die Jahrtausendwende. Rekruten zeigten den „Hitlergruß“, schrien „Sieg heil!“, beschimpften die Muslime der Kompanie als „Kanaken“ oder speicherten Nazi-Symbole auf dem Handy.
Die Statistik zeigt: Zu 70 Prozent waren es Grundwehrdienstleistende, die sich in Ton und Tat vergriffen. Berufssoldaten waren lediglich mit einem Prozent beteiligt. „Ein rechtsextremer Offizier – das ist zum Glück ein absoluter Sonderfall“, sagt Penner. COSIMA SCHMITT