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Archiv-Artikel

Geschönte Absatzzahlen und ruinöse Rabatte

So günstig war ein Auto selten zu haben: Mit selbstmörderischen Sonderangeboten und immer neuen Modellen gehen die Autoherstellerauf Kundenfang. Dennoch hält die Krise der Branche immer noch an: Der Absatz liegt 18 Prozent unter dem langfristigen Trend

BERLIN taz ■ Der Schock kam zeitversetzt. Dabei hatte das Kraftfahrt-Bundesamt schon Mitte Februar gemeldet, dass die Autoindustrie ganz schlecht in das neue Jahr gestartet war: Knapp ein Achtel weniger Autos waren im Januar neu zugelassen worden als vor Jahresfrist. Damals freilich hatte der Verband der Deutschen Autoindustrie (VDA) die Zahlen noch relativiert: Viele Händler hätten Fahrzeuge im Dezember als Tageszulassungen angemeldet, um den Herstellern geschönte Absatzzahlen vorweisen zu können. Real verkauft wurden viele davon allerdings erst im Januar – wobei sie aber nicht mehr als Neuzulassung galten. Dass das jedoch nicht den gesamten Einbruch erklären kann, bewiesen jetzt die Februarzahlen, nach denen auch im vergangenen Monat trotz des Schaltjahres immer noch 4 Prozent weniger Wagen neu angemeldet wurden als im Vorjahresmonat.

Nein, die seit vier Jahren andauernde Krise der Automobilindustrie ist noch nicht vorbei. Viel spricht für Skepsis: Immerhin hat der Industriezweig über Jahre weltweit Überkapazitäten von 30 Prozent aufgebaut. Und nach Berechnung der Unternehmensberatung Goldman Sachs International liegt der Pkw-Absatz bis zu 18 Prozent unter dem langfristigen Trend. Der VDA glaubt jedoch fest an eine Besserung. Er geht davon aus, dass der Absatz 2004 steigt: von 3,236 Millionen Neuzulassungen im letzten Jahr – der schlechteste Wert seit vier Jahren – auf 3,5 Millionen.

30 Prozent Überkapazität

Die Hersteller selbst sind vorsichtiger und verweisen auf individuelle Probleme: So liefert DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp nur einen verhaltenen Ausblick auf das Gesamtjahr, obwohl es seinem Sorgenkind, der US-Tochter Chrysler, besser geht. Denn nun hakt es am anderen Ende der Welt: Schrempps Vertrauter Rolf Eckrodt bekommt die japanische Tochter Mitsubishi nicht in den Griff, der Verlust für das Geschäftsjahr 2003/04 beträgt voraussichtlich mehr als 770 Millionen Euro. Nicht einmal bei Mercedes läuft es: Im Januar wurden weltweit 10 Prozent weniger verkauft, in Deutschland sogar 15 Prozent. Unklar ist zudem, wie der Prozess in den USA ausgeht, in dem Chrysler-Hauptanteilseigner Daimler auf eine Milliarde Dollar Schadenersatz verklagt hat, und ob sich das Hin und Her von Toll Collect finanziell auswirkt.

Auch Opel kämpft vor allem mit konzerninternen Problemen. Trotz des letztjährigen Verlustes von 400 Millionen Euro sieht das Unternehmen sich nicht mehr als Sanierungsfall. Der Chef der deutschen Tochter des US-Konzerns General Motors, Carl-Peter Forster, verweist stattdessen auf das komplizierte Verrechnungssystem mit der Europazentrale GM Europe. So gehen Investitionen in neue Modelle zwar in die Opel-Bilanz ein, die Einnahmen aus dem Verkauf landen dann aber bei GM Europe. Am besten läuft es noch beim bayerischen Autobauer BMW, der im letzten Jahr sogar 2.600 neue Stellen schuf. Hier erklärt man sich und der Welt den 7-prozentigen Absatzrückgang im Januar mit Umbaumaßnahmen im Werk München, die zu einmaligen Produktionsausfällen geführt hätten.

Um das Absatzproblem zu lösen, setzen die Autobauer neben individuellen Kostensenkungsprogrammen vor allem auf eine Modelloffensive, die bereits im Herbst begonnen hat – und auf Rabatte, die die durch politische Reformen und Wirtschaftskrise ebenfalls arg gebeutelten Autofahrer zum Kauf motivieren sollen. Ende 2003 startete BMW die 5er Klasse. Das 6er Coupé und der kleine Geländewagen X3 sind seit Anfang des Jahres auf dem Markt. Audi setzt fürs Frühjahr auf die Limousine A6 und für den Herbst auf den fünftürigen A3 „Sportback“. Den härtesten Wettbewerb wird es aber in der Kompaktklasse geben, wo der so schlecht gestartete VW Golf V sich nun mit dem Opel Astra und im Herbst mit dem kleinen 1er BMW messen muss. Die Konkurrenz findet dabei nicht nur unter deutschen Herstellern statt, sondern vor allem unter den Importeuren: Diese hatten 2004 bislang einen Rückgang an Neuzulassungen zu verkraften – auch als Folge einer anhaltenden Werbeoffensive. Dass sie beim Aufwand pro verkauftem Auto an der Spitze liegen, scheint sich zu rechnen: Ihr Marktanteil stieg von 33,7 auf 35,5 Prozent.

1.700 Euro Rabatt sind drin

Überhaupt spielen die so genannten Verkaufsfördermaßnahmen eine immer größere Rolle im Verdrängungswettbewerb. Denn laut der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton (BAH) orientieren sich Autokäufer immer mehr direkt am Preis. Faktoren wie Markentreue, aber auch Qualität und Zuverlässigkeit träten dahinter zurück. Bis zu 10 Prozent Preisnachlass sind inzwischen normal, hat das Leverkusener Prognoseinstitut B & D Forecast herausgefunden. „Das sind durchschnittlich 1.700 Euro“, sagt Geschäftsführer Ferdinand Dudenhöfer. Aber auch noch höhere Nachlässe sind drin – vor allem bei den Importeuren. Spitzenreiter ist Renault, das bereits jeden vierten Wagen nach Tageszulassungen um 15 Prozent billiger anbietet. Der durchschnittliche Renault ist in Deutschland für 2.000 Euro unter dem Listenpreis zu bekommen.

Die BAH-Autoren bezeichnen den Trend als „tickende Zeitbombe“. Kein Wunder: Der Preiskampf beeinträchtigt nicht nur die Margen der Autohersteller, sondern geht auch an die Substanz der Zulieferer, denen die Autobauer immer härtere Bedingungen diktieren, und der Händler, denen die Banken den Kredithahn zudrehen. Und selbst der Käufer hat nicht viel Freude an seinem Rabatt. Spätestens beim Wiederverkauf kommt das böse Erwachen, denn die Preisnachlässe drücken den Wert des Gebrauchtwagens – für die gesamte Modelllinie.

BEATE WILLMS