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Archiv-Artikel

Drama um Groschenblätter!

Rügen vom Presserat, fallende Auflagen – Boulevard ist hart. Der Kölner „Express“ kriegt einen neuen Chefredakteur und der alte geht zum „Berliner Kurier“ – da sieht‘s auch nicht viel besser aus

von PASCAL BEUCKER und STEFFEN GRIMBERG

Keine Experimente! Im Alter scheint sich Alfred Neven DuMont auf die Worte Konrad Adenauers zu besinnen. Mit einer hausinternen und entsprechend kostensparenden Lösung will der Kölner Verleger und Herausgeber seinen angeschlagenen Express – eine der wenigen bundesweit noch verbliebenen Boulevardalternativen zur Bild-Zeitung – wieder auf die Erfolgsspur bringen: Rudolf Kreitz, der bisherige stellvertretende Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, soll im Juli auf den nach Berlin entfliehenden Hans-Peter Buschheuer folgen.

Kreitz, seit 1985 beim Verlag M. DuMont Schauberg, sei „ein ausgewiesener Kenner Kölns sowie des Umlandes“, lobpreist ihn der Verlag. Mit der Ernennung des 44-Jährigen setze der Express nun „verstärkt auf die regionale Kompetenz der Kölner Boulevardzeitung“ – für den vor drei Jahren von der Spree an den Rhein importierten Buschheuer eine Ohrfeige zum Ausstand.

Buschheuer dürfte seine Entscheidung, als neuer Chef des Berliner Kuriers zurück in die Hauptstadt zu wechseln, allerdings auch ohne diesen „Abschiedsgruß“ nicht schwer gefallen sein. Nicht nur, dass der 50-Jährige den Berliner Boulevard noch gut aus seiner Zeit als Chef vom Dienst bei Springers B. Z. kennt. Seine Tage in Köln galten ohnehin als gezählt: Denn sein Verhältnis zum Verleger war wohl spätestens seit der Bundestagswahl im September 2002 zerrüttet. Erzürnt hatte den Verlagspatriarchen seinerzeit die vermeintlich zu rot-grün-freundliche Ausrichtung des Express. Schon damals wurde über eine Ablösung Buschheuers spekuliert, und der Verleger forderte per Brandbrief seinen Chefredakteur „nachdrücklich“ dazu auf, „sich wieder mit der grundsätzlichen Haltung unseres Hauses zu identifizieren, und dies sofort und ohne Wenn und Aber“.

Buschheuer, der sein journalistisches Handwerk beim linken Nürnberger Stadtmagazin Plärrer gelernt und danach auch einige Zeit als Pressesprecher der bayrischen Grünen gearbeitet hatte, gehorchte – wenn auch mit der Faust in der Tasche.

Watschen gefangen

Rot-grüne Verirrungen hat Neven DuMont von Kreitz nicht zu befürchten. Allerdings dürfte seine Ernennung auch in anderer Hinsicht zu einer Kurskorrektur führen: Sie gilt als Versuch, den Express – soweit das im Boulevard überhaupt möglich ist – wieder etwas seriöser werden zu lassen. Denn für den Geschmack des Herausgebers fing sich das 50-Cent-Blatt unter Buschheuer für seine Berichterstattung etwas zu häufig Watschen beim Deutschen Presserat ein – und die Auflage blieb trotzdem mau. Zuletzt bescheinigte der Presserat dem Express am 3. April in einer öffentlichen Rüge, die Sorgfaltspflichten und das Persönlichkeitsrecht verletzt zu haben sowie dem journalistischen Anstand widersprochen zu haben, indem er „unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur“, veröffentlichte.

Im September vergangenen Jahres sah sich der Herausgeber sogar zu einer öffentlichen Distanzierung von seinem eigenen Blatt gezwungen. Der Express hatte unter der Überschrift „Die Klau-Kids von Köln“ die Fotos von 53 Roma-Kindern und -Jugendlichen im Stil eines Fahndungsplakates veröffentlicht.

Der Vorgang – den der Presserat als grobe Verletzung der Persönlichkeitsrechte und des Diskriminierungsverbots bewertete – erfülle ihn „mit Trauer“, schrieb Neven DuMont daraufhin in einem sechsspaltigen Aufsatz im Express, und er wolle „auch im Namen seiner Frau und seines Hauses bei dem Volk der Roma, das wundervolle Menschen hervorgebracht hat, und allen, die sich von der Art der Veröffentlichung getroffen gefühlt haben, sein Bedauern zum Ausdruck bringen“.

Und noch ein zweites Sorgenkind hat der Verleger neben dem Presserat: die Auflage. Der Express verkauft seit dem vierten Quartal 2002 im Raum Köln/Bonn erstmals weniger als 200.000 Exemplare – Ende der Neunzigerjahre lag man noch bei einer runden Viertelmillion. Und auch die Düsseldorfer Express-Ausgabe,die DuMont gemeinsam mit dem Verlagshaus Girardet (Westdeutsche Zeitung) verlegt, findet nur noch knapp 60.000 Käufer – ein Verlust von rund einem Drittel der Leser in fünf Jahren, Tendenz fallend.

Doch nicht nur am Rhein haben es Boulevardblätter schwer: Der Markt für Straßenverkaufszeitungen schrumpft in ganz Deutschland und ist durch die Übermacht der Bild-Zeitung völlig verzerrt: Sie verzeichnet zwar auch deutliche Auflagenverluste, verkaufte mit fast vier Millionen Exemplaren täglich aber mehr als dreimal so viel Zeitungen wie alle anderen Boulevardblätter zusammen (s. Kasten).

Auf Hans-Peter Buschheuer wartet beim Kurier in Berlin dabei noch eine reichlich verzwickte Situation. In der Hauptstadt erscheinen gleich zwei Titel aus dem Hause Springer. Während die B. Z. unter Georg Gafron für die alte Westberliner Frontstadtgemütlichkeit sorgt und weiterhin die Auflagenliste anführt, wildert die Bild-Ausgabe Berlin Brandenburg beim Kurier. Diese Arbeitsteilung macht Sinn, denn was auch immer im Boulevardzeitungsmarkt passieren mag: Dass LeserInnen des vor allem in den ehemaligen Ostbezirken beheimateten Kuriers freiwillig zur B. Z. greifen, kann man auch weiterhin völlig ausschließen.