: Die DDR passt in drei Räume
Eine Plattenbauwohnung in Hellersdorf ist wie zu Honeckers Zeiten eingerichtet – und bewahrt so ein Stück DDR-Geschichte. Alles ist da, vom Spanplattenschrank bis zur Erika-Reiseschreibmaschine. Eine Zeitreise zurück in sozialistische Heimeligkeit
VON SERGE SEKHUIS
Aufgeregt laufen Bernd Schulz und seine Freundin Jacqueline Ammann in der kleinen Plattenbauwohnung vom Schlafzimmer zur Küche, von dort ins Wohnzimmer. „Genau diesen Herd hatten wir auch.“ Und: „Schau mal da, die Waschmaschine.“ Die beiden öffnen den Deckel, drehen die Trommel, sie feiern ein Fest des Wiedersehens.
Bernd und seine Freundin besuchen ein Museum. Es findet sich im ersten Stock einer Hellersdorfer Platte aus den 80ern. Die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land/WoGeHe hat hier in der Hellersdorfer Straße 179 vor knapp zwei Wochen eine Dreiraumwohnung so eingerichtet wie zu Honeckers Zeiten.
Für Ostler ist das wie eine Zeitreise zurück in heimelige, sozialistische Wohnkultur: An der Wohnzimmerwand steht ein Spanplattenschrank, lederne Armsessel fügen sich neben die hellgrüne Couch, die original Erika-Reiseschreibmaschine auf dem Tisch funktioniert noch.
Alles war übersichtlich
Das war das Schöne an der DDR: Alles war übersichtlich. Jeder hatte die gleichen Schränke, Stühle und Geräte. Die Möbel kamen von Schleiz, die Lampen von Leuchtenbau Lengefeld, Küchenapparate baute Foron. Sogar das Gemälde an der Wand erkennen die Berliner Bernd und Jacqueline wieder. Das Bild des verliebten Paares an der Ostsee hing vor zwanzig Jahren in vielen DDR-Wohnzimmern. Es ist eine etwas kitschige Arbeit Walter Womackas, mit „WO 62“ hat er es signiert, hunderttausende Mal wurde es reproduziert.
Die Wohnungsbaugesellschaft wird in den kommenden Monaten 1850 Wohnungen im Hellersdorfer Grabenviertel sanieren – und lässt sich das 40 Millionen Euro kosten. Die Wohnung im DDR-Stil ist somit ein Stück bewahrter Geschichte – und dient jetzt als Anschauungsobjekt.
Seit Weihnachten sammeln die Initiatoren Einrichtungsstücke, per Mundpropaganda halfen Freunde und Bekannte aus. „Vieles wurde geschenkt“, sagt Hilmar Glaeser, selbst Ossi und technischer Revisor bei der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land/WoGeHe. Manches war nicht einfach zu bekommen – in der Nachwende-Euphorie stellten viele ihre Oststücke einfach an den Straßenrand. Zu groß war die Versuchung, alles schnell durch Westprodukte zu ersetzen.
Dass die nicht unbedingt besser sind, weiß Ostwohnungsbesucher Bernd Schulz inzwischen. Wehmütig betrachtet er den Fernseher, Marke RTF, Colorett: „Wir hatten damals ein Schwarzweißgerät, das war schon etwas Besonders. Wir konnten es uns nur dank unseres Ehekredits leisten. Es liefen nur DDR 1 und 2 – und natürlich die Westberliner Sender.“ Bernds Ostapparat hielt fünfzehn Jahre, der westdeutsche Ersatz lief gerade mal drei. „Man musste zwar Schlange stehen und manchmal Jahre warten, aber technisch waren die Produkte viel besser. Und was einmal nicht mehr funktionierte, wurde repariert, wie alles in der DDR wieder und wieder repariert wurde.“
Die Plattenbauten, in denen jetzt das Minimuseum residiert, entstanden in knapp zwei Jahren auf einem Acker, Mitte der 80er-Jahre wurden sie übergeben. Sie verfügten über Zentralheizung, fließend warmes Wasser und waren entsprechend teuer: 109 Ostmark im Monat. Dafür hatte man in dieser „Orginal WBS 70“ ein Wohnzimmer, eine kleine Küche mit Fenster, ein Bad, ein kleines Kinderzimmer, den Schlafraum für die Eltern und sogar eine „Loggia“. Zusammen 61 Quadratmeter. Seither hat sich hier wenig geändert.
Hilmar Glaeser führt die nächsten Besucher herum. Stolz ist er vor allem auf die Blümchentapete in verschiedenen Designs. Alle Bahnen sind direkt auf den Beton geleimt, so war es damals üblich. „Die Tapete war sehr schwierig zu bekommen. Der Fabrikant produziert die schon lange nicht mehr. Aber wir hatten Glück, jemand hatte noch einen Rest.“
Bis jetzt sind es meist neugierige Ossis, die den Weg in die Plattenbauwohnung finden. Erster Wessi war der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Er spielte prompt auf einen Film an, der hauptsächlich in einer ostalgisch hergerichteten Wohnung spielt. „Vor zwei Wochen hat er uns gefragt, ob Daniel Brühl auch hier war, der Hauptdarsteller des Films Good Bye, Lenin“, erzählt Glaeser. „Ja, das war schon ein großes Kompliment.“
Dass die Wohnungsbaugesellschaft etwas verspätet versucht, auf die Ostalgiewelle aufzuspringen und damit Geld zu verdienen, streitet er vehement ab: „Der Eintritt kostet ja gerade mal einen Euro, wir müssen eher Geld zuschießen.“ Überhaupt, Ostalgie, Glaeser mag dieses Wort nicht. „Dass viele Ossis Sehnsucht nach der DDR haben, ist eine falsche Vorstellung. Vor allem die, die nach der Wende arbeitslos geworden sind, beklagen, dass es damals besser war.“
Bernd Schulz schaut sich noch ein letztes Mal die kleine Küche an. In der DDR arbeitete er als Koch, wechselte durch verschiedene Restaurantküchen und verdiente 800 Ostmark im Monat. „Groß ist es nicht hier, aber wir waren damit zufrieden. Jeder hatte ein Dach über dem Kopf, jeder hatte Arbeit. Wir hatten alle genug gespart. Wenn man einen Schrank kaufen wollte, ging man in den Laden, um ihn sich anzuschauen. Aber kaufen konnte man nicht, da musste man mindestens drei Jahren warten.“
Nein, traurig macht Bernd und Jacqueline die Rückkehr in die sozialistischen Räume nicht. Sie genießen das Erkennen, witzeln über Alltagsgegenstände. Auch Hilmar Glaeser sagt: „Ossis, die hier bei uns im Museum wütend wurden, vielleicht gar zerbrochen sind, hat es noch nicht gegeben.“
Die Wohnung liegt in der Hellersdorfer Straße 179. Geöffnet Dienstag und Donnerstag 14–18 Uhr, Sonntag 14–16 Uhr