: Meine Lunge gehört mir
Die Erhöhung der Tabaksteuer ist verlogener Normalitätsterror. Eine Kampfschrift
Das Beste an der Schule war die Raucherecke. Prima, sehr basic und ausgesprochen kommunikativ ist es auch, in den so angenehm hässlich gestalteten Raucherecken von Krankenhäusern ein paar Zigaretten mit netten Pennern zu verdrücken, die grad frisch aus dem OP kommen.
Während des Irakkriegs sagte irgendwann ein britischer Soldat, das Erste, wonach die Leute in Basra gegiert hätten, seien Zigaretten gewesen. Im England des pfäffischen Pudels kosten Zigaretten sechs Euro, aber kompliziertere Lebensverhältnisse lassen sich offensichtlich besser mit Zigaretten ertragen, mag es auch weiser sein, stattdessen zu meditieren. Es gibt meines Wissens keine einzige Droge, deren Preis in den letzten zwanzig Jahren so erhöht wurde wie Tabak wegen Steuern. Während die Bierpreise in den letzten zwanzig Jahren unverändert geblieben sind, Kaffee sogar billiger geworden ist, hat sich der Preis für Zigaretten für Berliner, die vor 1989 ihre Zigaretten im Intershop zu kaufen pflegten, innerhalb von 14 Jahren verdreifacht. Für die anderen verdoppelt. Eine Schachtel mit 19 Zigaretten zum Preis von sechs Mark würde ohne Tabaksteuer 1,60 Mark kosten. Die letzte Erhöhung der Tabaksteuer finanzierte den Afghanistankrieg, die kommende soll dem Gesundheitssystem zugute kommen.
Am unangenehmsten sind Gesundheitsrenegaten wie etwa Joschka Fischer. Irgendwie geht es einem wahnsinnig auf den Geist, einerseits als Raucher quasi den Staatshaushalt sanieren zu sollen und andererseits dafür beschimpft und schlecht gemacht zu werden in der primitiven Propaganda des herrschend mediokren Gesundheitsstrebertums, die „Gesundheit“ als Wert an sich hinstellt und meint, im Leben gehe es vor allem darum, möglichst lange zu leben mit roten Bäckchen. Wider besseres Wissen wird auch ständig die US-Propaganda hergebetet, derzufolge Raucher sozusagen Gemein- und Volkswohlparasiten wären. Die drastische Erhöhung der Tabaksteuer ist asozial, weil vor allem Leute mit geringerem Einkommen rauchen, verlogen, weil die deutsche Regierung sich gleichzeitig gegen das Verbot von Zigarettenwerbung ausspricht, und außerdem eine normalitätsterroristische Unverschämtheit, die Rache pausbäckiger Zufriedenheitsidioten an den Leuten in der Raucherecke.
Das herrschende gesunde Denken, in dem die so genannten „Opfer“ von Autounfällen, Selbstmorden, Alkohol, Drogen, Medikamenten, Zigaretten sowie diversen Krankheiten aufgelistet und durcheinander geschmissen werden, ist eine archaische Denkart, in der es keinen natürlichen Tod, sondern nur Mord gibt, in der der Tod als Teil jeden Lebens tabuisiert wird. Meine Lunge gehört mir, und ein nicht ganz unwichtiger Teil von Freiheit ist der, auch ungesund zu leben. Als Raucher ist man der negativen Dialektik verpflichtet. In gewisser Weise ist ungesundes Leben leibliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen und der Wahrheit des endlichen Hierseins verpflichtet. Irgendwie ist jede Zigarette ein kleiner Tod. Interessant auch, dass sich immer mehr der derzeit 300.000 amerikanischen Porno-Internetseiten auf Sex mit Zigaretten spezialisiert haben. DETLEF KUHLBRODT