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„Die Politik scheut die öffentliche Diskussion“

Es geht um Demokratie und Gleichbehandlung. Interview mit Volker Roßocha, Referatsleiter Migrationspolitik beim Bundesvorstand des DGB

taz: Was ist bei der Vorbereitung des Antidiskriminierungsgesetzes schief gelaufen?

Volker Roßocha: Das Justizministerium hat gravierende handwerkliche Fehler gemacht. Zum einen hat es die Dimension der Herausforderung nicht erkannt, denn ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz betrifft jede Einrichtung, von der Diskothek bis zum Kleingartenverein. Zum anderen wurde der gewählte horizontale Ansatz, also die Berücksichtigung unterschiedlicher Diskriminierungsgründe wie Herkunft, Alter oder Behinderung, zu spät und nicht breit genug diskutiert. Die heilige Allianz von Wirtschaftsverbänden und Kirchen hatte leichtes Spiel, den Gesetzentwurf zum Scheitern zu bringen.

Warum wird in der Öffentlichkeit und den Medien so wenig über Antidiskriminierungspolitik gesprochen?

Die Politik scheut die öffentliche Diskussion über das Thema, weil man nicht möchte, dass die Tragweite einer Antidiskriminierungsgesetzgebung erkannt wird. Die Politik hat noch immer nicht verstanden, dass es hier nicht um die Förderung von Migranten, sondern um Demokratie und Gleichbehandlung geht. Sie hat auch nicht verstanden, dass eine gute Antidiskriminierungspolitik wirtschaftliche Erfolge bringt. Eine Reihe großer Konzerne hat inzwischen Betriebsvereinbarungen zur Gleichbehandlung abgeschlossen, weil sie wissen, dass der Schutz vor Diskriminierung das Arbeitsklima verbessert und so zur Gewinnsteigerung beiträgt.

Welche Linie verfolgt der DGB?

Der DGB hat im Dezember letzten Jahres mit den Vorsitzenden der Gewerkschaften zwei umfassende Beschlüsse gefasst, in denen sie ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz für alle Formen der Diskriminierung fordern. Wir werden auch unsere betriebliche Antidiskriminierungspolitik weiter verstärken. Wenn möglichst viele Unternehmen Betriebsvereinbarungen zur Gleichbehandlung abschließen, werden Fakten gesetzt, die den Sensibilisierungsprozess vorantreiben. Für ganz wichtig halten wir außerdem die Unterstützungsstrukturen in den Kommunen. Sinnvoll wären Gleichbehandlungsbeauftragte, die die Verantwortung dafür tragen, dass alles Erforderliche getan wird, um Gleichbehandlung zu gewährleisten.

INTERVIEW: VERONIKA KABIS

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