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Archiv-Artikel

Tito ist in Bosnien wieder in

In Cafés singen Jugendliche Partisanenlieder und gucken sich historische Filme an. Expartisanen melden sich wieder zu Wort. Sie hoffen auf eine neue Chance der Linken

SARAJEVO taz ■ Rot leuchtet der kyrillische Schriftzug „Tito“ über dem Eingang eines Cafés am Ufer des Miljacka-Flusses in Sarajevo. Josip Broz, genannt Tito, kommunistischer Staatsgründer des ehemaligen Jugoslawien, zieht abends vor allem junge Leute an. Ehrfürchtig betrachten sie die Bilder. Tito, Diktator und Lebemann, ist da mit Elisabeth Taylor, seinen Ehefrauen, Staatsmännern aus aller Welt und bei der Jagd zu sehen. Die Leute sind begeistert. Als die Rockmusik durch Partisanen-Lieder unterbrochen wird, singen viele mit. Tito ist in Sarajevo wieder in.

„In den Siebzigerjahren war die schönste Zeit im Leben meiner Eltern“, sagt die 17-jährige Aida. Sie ist neugierig auf deren Geschichte. Ein Bild an der Wand des Cafés erinnert an den 4. Mai 1980, als Tito starb. Fußballspieler krümmen sich in Weinkrämpfen, als sie die Nachricht erreicht. „Damals waren wir wer, wir hatten den besten Pass der Welt, konnten ohne Visa in den Ostblock und in den Westen reisen, hatten genug Geld“, sagt der Enddreißiger Samir. Jetzt, fast acht Jahre nach dem Krieg, liege die Wirtschaft immer noch am Boden. „Und geh mal zu den Botschaften, um ein Visum zu bekommen. Das ist demütigend.“

Alle blicken zu der Leinwand, wo Filme aus dem alten Jugoslawien gezeigt werden. Gerade ist der Partisanenfilm „Die Schlacht an der Neretva“ dran, in dem internationale Stars wie Orson Welles und Hardy Krüger mitspielen. „Das war die teuerste Produktion im damaligen Europa“, erklärt Sami stolz.

Zufällig wird der Streifen nicht gezeigt. Der Kampf an der Neretva fand genau vor 60 Jahren statt, im Februar, doch erst an diesem Wochenende wollten die Veteranen von damals an den für sie bedeutsamen Ort fahren. Raif Diždarević hatte sich als 16-Jähriger 1941 den Partisanen angeschlossen. In der Tito-Zeit machte er Karriere, stieg Ende der Achtzigerjahre zum vorletzten Präsidenten Jugoslawiens auf, konnte den Zerfall des Staates jedoch nicht verhindern.

Jetzt will er sich politisch wieder einmischen. Deshalb organisierte er als Haupt der Veteranenorganisation in Bosnien und Herzegowina die Feier in Jablanica, der Stadt am Neretva-Fluss, wo die Partisanen gegen Deutsche, Italiener und deren Hilfstruppen den größten Sieg errungen hatten. 2.000 Menschen folgen seinem Ruf. Manche tragen stolz ihre Orden durch die Menge, die sich vor dem Denkmal in Jablanica versammelt hat.

Von den hoch aufsteigenden Bergen aus kamen die deutschen und die kroatischen Ustaschatruppen, erklärt ein Veteran. In den Bergzügen im Südosten saßen die serbischen Tschetniktruppen. Die Partisanen mit 4.000 Verwundeten wollten über die Brücke ausweichen, doch Tito ließ sie sprengen. Ein erbarmungsloser Kampf begann, der die Deutschen veranlasste, den Vormarsch einzustellen. Die Partisanen überquerten doch den Fluss und vernichteten die serbischen Tschetniks.

„Ja, wir haben gewonnen“, sagt ein anderer Veteran, „aber nach Titos Tod wieder alles verspielt.“ Immerhin seien jetzt Leute vieler Nationalitäten angereist. Auf der Bühne singt ein Kinderchor kommunistische Lieder. Die Redner lesen mit zitteriger Stimme vom Blatt ab. Die Geduld des Publikums schwindet. „Mit so einer Propaganda haben wir das Vertrauen der Bevölkerung verloren“, sagt Mehmed C., Mitglied eines antifaschistischen Komitees aus Zentralbosnien. „Wir müssen die Jugend erreichen, so geht das nicht.“

Zumindest trauten sich die Partisanen, wieder aufzutreten. Weil viele spürten, dass die Nationalisten aller Seiten gescheitert seien, habe die Linke wieder eine Chance, hofft er. „Titos Staat war seit den Siebzigerjahren weit liberaler und gerechter als die meisten Nachfolgestaaten jetzt.“

ERICH RATHFELDER