Neuer Deal unter alten Waffenbrüdern

Der deutsche Rüstungskonzern Diehl und das US-amerikanische Unternehmen Raytheon gründen ein Joint Venture, um mehr „Sidewinder“-Raketen zu verkaufen. Das europäische Waffenoligopol EADS beobachtet das Geschäft misstrauisch

AUS BERLIN HANSJÖRG KISSEL

Der deutsche Rüstungskonzern Diehl streckt die Fühler im Waffengeschäft weiter über den Atlantik aus. Das Nürnberger Unternehmen hat gestern offiziell die Gründung eines Joint Ventures mit dem US-Lenkwaffenkonzern Raytheon bekannt gegeben. Mit der neuen Gesellschaft soll die Lenkrakete „Sidewinder“ im internationalen Waffengeschäft besser vermarktet werden. Vor allem die neuen Nato-Staaten in Osteuropa werden dabei als Kunden angepeilt.

Die beiden Konzerne machen nicht zum ersten Mal gemeinsame Sache. Seit den 60er-Jahren produziert eine Tochterfirma des Nürnberger Konzerns, das „Bodenseewerk Gerätetechnik“ (BGT), die in den USA entwickelte „Sidewinder“. „Die Rakete ist ein amerikanisches Waffensystem, das schon immer von Diehl hergestellt wurde“, erklärte Ottfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit. Auch im Bereich Lenkwaffen für Schiffe kooperieren die Waffenbrüder miteinander.

Rund 35.000 Infrarot-Raketen wurden seit den 60er-Jahren an Nato-Staaten geliefert. Die „Sidewinder“ wird von Flugzeugen oder Hubschraubern abgefeuert und findet ihre fliegenden Opfer mittels deren Abstrahlung von Wärme – eigentlich ein alter Hut in der hoch entwickelten Waffentechnologie. Warum interessiert sich also Raytheon, das in der US-Armee eine sprudelnde Auftragsquelle hat, für eine weitere Kooperation mit den Deutschen? „Diehl besitzt mit der BGT ein technologisches Schätzchen im Flugbereich“, sagt Nassauer. Der deutsche Konzern habe sich bei der Entwicklung von Suchkopf-Systemen einen technologischen Vorsprung erarbeitet. „Die Amerikaner wollen diese Technologie auch haben“, so Nassauer.

Mit dem Joint Venture wendet sich Diehl weiter dem lukrativen US-Markt zu – zum Ärger des europäischen Branchenführers in Sachen Lenkwaffen, des Gemeinschaftsunternehmens MBDA. Dieser Global Player, an dem hauptsächlich die deutsch-spanische-französische European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) beteiligt ist, bekommt mit dem Bündnis von Diehl und Ratheon ein kräftiges Gegengewicht. Seit vielen Jahren schon versucht die EADS den Diehl-Konzern in die Gemeinschaft einzubinden. „Allerdings betreibt Diehl ein profitables Geschäft, während EADS die erforderlichen Sanierungen nie auf die Reihe gekriegt hat“, erläutert Nassauer.

Anfang der 90er-Jahre war die Branche in eine schwere Krise gerutscht, da der reich gefüllte Tropf „Kalter Krieg“ plötzlich abgeklemmt war. Die Konzerne versuchen seitdem, ihre Produktionsbereiche neu zu strukturieren.

„Noch vor einem Jahr hat Konzernleiter Thomas Diehl gesagt, dass man vorsichtig mit Verkäufen in die USA sein müsse“, erinnert sich Nassauer. Aufgrund der heutigen wirtschaftlichen Situation seien transatlantische Kooperationen jedoch notwendig geworden.

Der Nürnberger Konzern beschäftigt insgesamt rund 10.600 Mitarbeiter, die im vergangenen Jahr ungefähr 1,6 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet haben. Neben Minen und Panzerketten stellt der Konzern auch Steuergeräte für Waschmaschinen her.

In den vergangenen Jahren war das Unternehmen wegen seiner braunen Vergangenheit stark in die Kritik geraten. In der Zeit des Nationalsozialismus mussten über 1.000 Häftlinge des Konzentrationslagers Groß-Rosen für das Unternehmen Granaten und Zündungen bauen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit zahlte Diehl Entschädigungen von rund 2 Millionen Mark an die ZwangsarbeiterInnen.